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ICON als Open Source-Modell für die Wettervorhersage – und mehr

Die Modellkette „ICON” bildet das Fundament der modernen Wettervorhersage beim Deutschen Wetterdienst. Dabei steht „ICON” als Akronym für „ICOsahedral Nonhydrostatic Model”. Das namensgebende Alleinstellungsmerkmal ist dabei der Aufbau des Gitternetzes. Dieses besteht aus gleichseitigen Dreiecken. Das ist insofern vorteilhaft, als dass ein solches Gitternetz eine Kugel gleichmäßig umspannen kann, ohne an den Polen auf Probleme zu stoßen. Gleichzeitig lassen sich die aufgespannten Dreiecke beliebig weiter unterteilen, um eine gewünschte Modellauflösung zu erhalten. Das ermöglicht es ohne großen Aufwand, weitere Untermodelle auf regionaler oder lokaler Skala zu betreiben, die auf dem globalen Modell aufbauen. Beim Deutschen Wetterdienst sind dies z.B. das ICON-NEST mit 6 km Auflösung auf einem Europaauschnitt und das ICON-D2 für Deutschland und Umgebung mit etwa 2,2 km Auflösung. Das Globalmodell wird dagegen mit 13 km Auflösung gerechnet.

 

DWD ICON als Open Source Modell fuer die Wettervorhersage und mehr

Entwickelt wird die ICON-Modellkette aber nicht nur beim Deutschen Wetterdienst. Insgesamt ist ein ganzes Konsortium aus Universitäten, wissenschaftlichen Instituten und nationalen Wetterdiensten aus Deutschland und der Schweiz an der Entwicklung beteiligt. Dies sind neben dem DWD das Schweizer „Center for Climate Systems Modelling” (ETH Zürich und Bundesamt für Klimatologie und Meteorologie MeteoSchweiz), das Deutsche Klimarechenzentrum (DKRZ, Hamburg), das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und das Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M, Hamburg).

Die ICON-Modellkette wird nicht nur für die Wettervorhersage genutzt. ICON lässt sich auch für zahlreiche weitere Anwendungen konfigurieren, wie zum Beispiel Klimaprojektionen oder Erdsystemsimulationen in sehr hoher Auflösung. Eine Variante – das ICON-ART-Modell – findet auch beim DWD operationelle Verwendung. Mit dessen Hilfe wird die Ausbreitung von Schadstoffen, Spurengasen und Partikeln wie z.B. Mineralstaub, Vulkanasche oder Pollenflug simuliert.

ICON findet aber auch vielfach Anwendung in Forschung und Wissenschaft. Hier kommt der große Vorteil der Open Source-Lizenz zum Tragen. Denn als Wissenschaftler kann man nun zum Beispiel ohne großen Beschaffungsaufwand die notwendige Software beziehen und für seine Zwecke entsprechend konfigurieren und modifizieren. Das gilt aber nicht nur für Wissenschaftler. Auch andere nationale Wetterdienste, die nicht die Möglichkeiten und Ressourcen besitzen, um ein eigenes Vorhersagemodell zu entwickeln und zu betreiben, können von der offenen Verfügbarkeit profitieren. Mit deutlich geringerem Ressourceneinsatz kann z.B. eine an die eigenen Anforderungen angepasste ICON-Modellvariante eingesetzt werden.

Gleichzeitig ermöglicht es der Open Source-Ansatz auch, neue Erkenntnisse und Erfahrungswerte von externen Stellen mit in die zukünftige Weiterentwicklung des Modells einzubeziehen. Das betrifft nicht nur den Wissensschatz der Forschungsgemeinschaft, sondern auch die technischen Aspekte. So können die Hersteller und Entwickler von Großrechnern in entsprechender Zusammenarbeit ihre Hard- und Software mit entsprechenden Modellkomponenten testen und verbessern.

Zusammenfassend ist die Veröffentlichung des ICON-Modells als Open Source-Software ein elementarer Schritt hin zur Verbesserung und Förderung der Zusammenarbeit zwischen Modellentwicklung, der Wissenschaftsgemeinschaft, als auch der Gesellschaft als solcher, die mit besseren Wettervorhersagen, neuen Forschungsergebnissen und der Möglichkeit der quasi weltweiten Nutzung allesamt von diesem Schritt profitieren werden.

M.Sc. Felix Dietzsch
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 05.02.2024
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst

Der Schmetterlingseffekt

Gestern erreichte uns wieder eine Anfrage, ob wir weiße Weihnachten bekommen. Natürlich sind solche Vorhersagen für einen so langen Zeitraum nicht möglich. Doch warum ist das so? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns mit dem Wetter als chaotischen Prozess befassen. Tatsächlich war der Begründer der Chaostheorie Edward N. Lorenz ein Meteorologe Im Jahr 1963 stieß er auf die Chaostheorie, während er Konvektionsströmungen in flachen Flüssigkeiten und Gasen erforschte. (Bei einem Experiment stieg ein Gas auf, das von einer Heizplatte erhitzt wurde, kühlte sich an der Oberfläche ab und sank an den Seiten wieder nach unten. Dabei bildeten sich Rollen oder sogenannte Konvektionszellen.) Dabei entdeckte er, dass winzige Änderungen in den Anfangsbedingungen des Systems zu starken Abweichungen in den Ergebnissen führen können.

Lorenz beschrieb diese Strömungen mithilfe eines Vorhersagemodells, das die Temperatur und die Konvektionsrate in einem Gleichungssystem miteinander verknüpfte.
Zur Lösung dieser Gleichungen benutzte er einen heute vergleichsweise einfachen Computer. Die Entdeckung des chaotischen Verhaltens dieses Systems geschah eher zufällig Als er sein Modell ein zweites Mal berechnete, wollte er Rechenzeit sparen und gab die Anfangsbedingungen nur mit drei Nachkommastellen anstatt vorher mit sechs Nachkommastellen an. Obwohl die Anfangsbedingungen nur geringfügig voneinander abwichen, führte dies zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. Dies zeigt, dass kleine Variationen in den Anfangsbedingungen in einigen Systemen zu großen Unterschieden führen können.

Der folgende Abschnitt geht noch etwas ins Detail und kann für das Allgemeinverständnis auch übersprungen werden:
Als grafische Lösung der Gleichung erhält man das Gebilde in der Abbildung, was auch Lorenz-Attraktor genannt wird. Die Achsen X, Y und Z stehen für die berechneten Variablen der Gleichungen, die Linie gibt die zeitliche Entwicklung (Verlauf) der jeweiligen Variablen wieder und wird als Trajektorie bezeichnet. Auffällig ist, dass die Trajektorie keiner chaotischen Bahn, sondern vielmehr einer gewissen Ordnung. Sie kreist um zwei verschieden Orbits und schneidet ihre eigene Bahn dabei niemals. Man nennt dieses Gebilde auch einen seltsamen Attraktor. Was allerdings chaotisch ist, ist der Wechsel von einem zum anderen Orbit, der nicht nach einer bestimmten Periode abläuft. Ob die Trajektorie von einem Orbit zum anderen “kippt”, hängt dabei stark von den Anfangsbedingungen ab.
In der Chaostheorie spricht man dann auch von einer “Bifurkation”. In Bezug auf die Wettervorhersage treten solche Bifurkationen häufiger bei Grenzwetterlagen. Dann zeigen verschiedene Wettermodellläufe zwei verschiedene Wetterlagen, (was mit dem Wechsel zwischen den zwei verschiedenen Orbits verdeutlicht werden kann.) Oft springt dann die Prognose zwischen diesen beiden Lösungen hin und her.

DWD Der Schmetterlingseffekt

Zusammenfassend bedeutet die Chaostheorie nicht, dass Systeme unvorhersehbar oder zufällig sind. Chaotische Systeme sind im Grunde berechenbar und werden als “deterministisches Chaos” bezeichnet. Dennoch sind sie äußerst empfindlich gegenüber kleinen Änderungen in den Anfangsbedingungen, die erhebliche Auswirkungen haben können. Edward L. Lorenz drückte dies mit der berühmten Metapher aus: “Kann ein Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?” Dies ist als der “Schmetterlingseffekt” bekannt und hat unser Verständnis von komplexen Systemen nachhaltig beeinflusst, einschließlich der Wettervorhersage. Die genaue Bestimmung des Anfangszustands der Atmosphäre ist nicht möglich, da nicht für jeden Punkt der Atmosphäre Messungen zur Verfügung stehen und die Messungen fehleranfällig sind. Darüber hinaus sind die Gleichungen in den Wettermodellen nur Näherungen, was die Vorhersagen mit zunehmender Zeitspanne unsicherer macht.

Dipl.-Met. Christian Herold
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 13.09.2023
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst

Chaostheorie – Teil 2: Ensemblevorhersagen und die Grenzen der Vorhersagbarkeit

In unserem ersten Teil haben wir gelernt, dass chaotische Systeme sehr sensitiv bezüglich der Anfangsbedingungen und der Wettervorhersage somit Grenzen gesetzt sind. Doch wo liegen die Grenzen der Vorhersagbarkeit und wie kann man dem Chaos beikommen…

Chaostheorie – Teil 1: Der Schmetterlingseffekt

Der Wettervorhersage sind Grenzen gesetzt. Was das Chaos und ein Flügelschlag eines Schmetterlings damit zu tun haben, zeigen wir in einer kurzen Einführung in die Chaostheorie…