Ein Nachmittag im November

Es ist Anfang November und man darf nach dem außergewöhnlich warmen Oktober auch weiterhin sehr milde Novembertage genießen bzw. sich über diese Novemberwärme wundern. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass sich zwischen den hektischen Alltagsplanungen am Nachmittag noch ein bisschen Zeit an der frischen Luft ausging. Es war Samstag, der 5. November, ein freundlicher und mit Höchstwerten von 9 bis 12 Grad über der Mitte und dem Norden Deutschlands erneut ein angenehm milder Herbsttag.

DWD Ein Nachmittag im November

Der erste Blickfang beim Verlassen des Hauses waren unzählige wellenförmige Wolkenerscheinungen, die den Himmel verzierten. Die Wellen liefen in teils sehr unterschiedliche Richtungen und erstreckten sich über den gesamten Himmel. Dabei handelte es sich bei dieser wellenförmigen Wolkenstruktur um sogenannte „Gravitationswellen“. Diese Wellen kann man sich vereinfach so vorstellen, wie wenn man einen Stein in einen Teich wirft und dabei Wellen erzeugt werden. In der Meteorologie kann der Stein z.B. eine Gewitterwolke oder aber die Orografie sein. Dabei steigt die Luft bei der Passage einer solchen Welle erst auf und dann ab. Dabei kondensiert die Luft beim Aufsteigen, es bilde sich Wolken und der Beobachter kann diese nun entstandenen Wellenstraßen bewundern.
Bild 1 wurde im Spessart und somit im Umfeld der zentralen Mittelgebirge aufgenommen, sodass als erster Grund für die Auslöse der Wellen die Orographie in den Sinn kam (sogenannte „interne Gravitationswellen“).
Für sogenannte gefangene Leewellen (engl. trapped lee waves) müsste die Windgeschwindigkeit über den Bergkuppen rasch zunehmen mit einer gleichzeitigen Abnahme der Stabilität (vorübergehende Abnahme der Temperatur mit der Höhe). Radiosondendaten aus der Umgebung (hier nicht gezeigt) unterstützen diese Theorie jedoch nicht.
Somit könnte es sich in diesem Fall um vertikal wandernde Leewellen handeln, die entstehen, wenn die Stabilität mit der Höhe zunimmt (die Temperatur nimmt mit der Höhe vorübergehend zu). Gleichzeitig kommt es zu keiner signifikanten Änderung der Windgeschwindigkeit mit der Höhe. Diese Bedingungen waren an diesem Tag in der Tat vorhanden.

Der kleine Haken daran ist, dass diese Wellen kaum eine Verlagerung stromab der Gebirge aufweisen (Hauptfluss der Wellenenergie ist in die Vertikale und weniger in die Horizontale gerichtet). In diesem Bild kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass durch die orange hervorgehobenen Wellen diese Wellendynamik zu erkennen war, da auch deren Ausrichtung in etwa parallel zur Orografie verlief.

Schaut man sich nun die Höhe aller Wolken näher an und zieht örtliche LIDARs zu Rate, dann erkennt man, dass im Verlauf des Nachmittags nach regionalem Abbau einer Inversion in rund 2km über Grund eine weitere Wolkenschicht in rund 6 bis 7 km Höhe von Westen aufzog (hier nicht gezeigt). Wieso war das von Interesse? An diesem Samstag schob sich von Westen vorderseitig eines Höhenkeils ein Band mit sehr hohen Windgeschwindigkeiten in großer Höhe (der sogenannte „jet stream“) nach Deutschland und sorgte ab 6 bis 7 km Höhe für eine dramatische Windzunahme mit der Höhe. In dem Bereich nahm ein schwacher Westwind mit der Höhe rasch auf mehr als 150 km/h aus Nord zu. Der Jet schwächte ich im Verlauf des Nachmittags ab und erfasste zunehmend auch tiefere Schichten (siehe Bild 2 und Bild 3).

DWD Ein Nachmittag im November 1

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Dabei sind in diesem Fall die durch Windscherung hervorgerufenen Gravitationswellen von Interesse, die häufig im Umfeld eines Jets entstehen und im Satellitenbild durch eine wellenförmige Ausbreitung im Cirrusniveau zu erkennen sind (sogenannte „transversale Wolkenbänder“, also Bänder, die senkrecht zur vorherrschenden Windrichtung stehen). Der dafür notwendige Wendepunkt wurde im Bild 2 durch einen Stern markiert. In der Tat kann man diese Struktur in hochaufgelösten Satellitenbildern erkennen (hier nicht gezeigt), wenngleich die Abschwächung des Jets mit der Zeit auch diese Strukturen allmählich auflöste (im Bild 1 wurden diese Wellen grün hervorgehoben). Da diese Bewölkung unseren Standort ab 15 Uhr erfasste kann somit eine Überlagerung verschiedener Schwerewellen mit unterschiedlichen Gründen für deren Entwicklung angenommen werden.
Nach dieser Erkenntnis war erstmal ein Kaffee nötig um die Gedanken wieder zu ordnen, doch keine 30 Minuten später sorgte ein weiteres Schauspiel für Furore, denn es zog eine sogenannte „hole-punch cloud“ vorüber.

DWD Ein Nachmittag im November 3

Sie sollte für den Beobachter bereits ein beeindruckendes Schauspiel darstellen, doch wurden später im Internet noch viel farbenprächtigere Bilder weiterer hole-punch clouds im Westen und Südwesten Deutschlands geteilt. Die genaue Entstehung ist noch umstritten, nicht fundiert geklärt und kann durch mehrere Faktoren hervorgerufen werden. Letztendlich sollte ein Initiator für Eiskristallbildung vorhanden sein, sodass diese Kristalle in die mit unterkühlten Wassertröpfchen ausgestatten tiefere Wolkenschicht fallen. Dank eines geringeren Sättigungsdampfdrucks über Eis als über den unterkühlten Wassertröpfchen lagern sich immer mehr Tröpfchen am Kristall an, der schlussendlich herunterfällt (siehe gelber Pfeil im Bild 4). Der Umgebung fehlt nun der Wasserdampf und es kommt zur Wolkenauflösung. Initiatoren können z.B. Flugzeuge sein, die es in der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens zahlreiche gibt. Zudem scheint ein möglicher Eiskristalleintrag von höheren Wolkenschichten eher unwahrscheinlich, da die Luftmasse zwischen den von Westen eintreffenden Cirren und der bereits vorhandenen tieferen Wolkenschicht sehr trocken war. Auch umgebende LIDAR Messungen deuteten keinen Eintrag von Eiskristallen an. Natürlich konnte man diese auch vom Satelliten aus erkennen, wobei exemplarisch zwei Beispiele im Bild 5 mit gelben Kreisen hervorgehoben wurden.

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Beendet wurde dieser spannende Nachmittag an der frischen Luft durch den Ausruf von Nachbarskindern, die von Südwesten ein Einhorn heranschweben sahen. Diese tiefe Bewölkung wurde in Folge einer schwachen Konvergenzpassage, wo also Winde aus unterschiedlichen Richtungen zusammenströmen, an den Spessart gedrückt, gehoben und es bildeten sich vor der untergehenden Sonne neben bedrohlich aussehenden Wolkentürmen u.a. auch die abendliche Einhorn-Wolke (mit viel gutem Willen erkennbar – naja).

DWD Ein Nachmittag im November 5

Damit ging ein spannender Nachmittag zu Ende, der wieder einmal zeigte: ein Blick in den Himmel kann Freude bereiten sowie Klein und Groß zum Wolkenraten animieren. Versuchen Sie es doch auch mal bei nächster Gelegenheit und lassen Sie sich von der Vielfalt an Strukturen und Formen beeindrucken.

Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.11.2022
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst

Das Ostseesturmhochwasser 1872 (Teil 2/2)

Nach mehreren Tagen mit recht glatter westlicher Strömung (Tiefdruckgebiet über Skandinavien, hoher Luftdruck über Südwesteuropa und großen Teilen Mitteleuropas) stellte sich die Wetterlage ab dem 10.11.1872 markant um. Die großräumige Strömung begann über dem europäischen Kontinent stärker zu mäandrieren (Auslenkung von Nord nach Süd) und beendete somit die anhaltende westliche Grundströmung. An den folgenden Tagen verstärkte sich diese Tendenz zur Meridionalisierung deutlich und gipfelte schließlich in einem sogenannten „Cut Off“ (siehe DWD-Wetterlexikon) in der mittleren und oberen Troposphäre. Ein solches Cut-Off-Tief entkoppelt sich als eigenständiges Höhentief von der troposphärischen Grundströmung und kann dadurch in den meisten Fällen deutlich länger an einem Ort verweilen (Stationarität). In diesem Falle nistete sich das Höhentief am 11. und 12.11. über Mitteleuropa ein und verlagerte sich an den Folgetagen kaum mehr. Die unmittelbare Folge davon war, dass die kräftigen Westwinde zum Erliegen kamen und die in der nördlichen und östlichen Ostsee gestauten Wassermassen wieder langsam den Rückweg einschlugen („Zurückschwingen“).
Doch damit nicht genug. Aus Teilen einer Tiefdruckzone über Mitteleuropa entwickelten sich am 11.11. und 12.11.1872 ein kräftiges Tief über Oberitalien und dem östlichen Balkan, das unter Intensivierung nach Norden zog. Gleichzeitig baute sich über Skandinavien ein mächtiges Hochdruckgebiet auf, das in weiterer Folge als Gegenspieler des Tiefs fungierte. Aus den Reanalysedaten kann abgeleitet werden, dass das Tief ausgangs der Nacht zum 13.11.1872 einen Kerndruck (im Bereich der Lausitz) von um oder etwas unter 1000 hPa und das Hoch in seinem Schwerpunkt über Mittelschweden etwas über 1040 hPa aufgewiesen haben könnten. Damit war auf einer relativ kleinen Distanz ein großer Druckunterschied gegeben, der anhaltenden Sturm oder gar Orkan aus Ost bis Nordost über der südlichen Ostsee verursachte. Somit drehte sich aufgrund der nun inversen Bodendruckkonstellation die Windrichtung innerhalb kurzer Zeit um etwa 180 Grad.

DWD Das Ostseesturmhochwasser 1872 Teil 22

Warum ist gerade diese Mixtur so verheerend? Führen wir uns an dieser Stelle noch einmal die Ostsee als eine Art „Badewanne“ vor Augen. An den linken Badewannenrand stellen wir nun einen Ventilator auf, der die kräftige Westströmung zu Monatsbeginn simulieren soll. Das Wasser wird nun entsprechend an den rechten Rand gedrückt. Innerhalb kürzester Zeit stellen wir nun den Ventilator gedreht auf die gegenüberliegende Badewannenseite und erhöhen die Geschwindigkeit auf die höchste Stufe. Damit „schwappt“ das Wasser nicht einfach nur zurück, nein, die Flutwelle wird durch die starken Winde aus der entgegengesetzten Richtung sogar noch verstärkt. Stellt man sich abschließend noch den linken Badewannenrand, auf den die Flutwelle nun zurollt, nicht als eine handelsübliche runde, breite Form, sondern als trichterförmige Bucht vor, kann man sich die Folgen des Windstaus leicht ausmalen.
Begleitet durch Schneeschauer und Gewitter begann das Wasser in der Nacht vom 12. zum 13.11. an den Küsten von Dänemark bis nach Pommern rasch und stetig zu steigen. An vielen Pegeln wurde die Marke für eine sehr schwere Sturmflut (nach heutiger Definition 2,0 m oder höher über Mittelwasser laut BSH Homepage) deutlich überschritten, in Travemünde und Lübeck gar der Wert von 3,30 bis 3,50 m erreicht. Besonders schwer getroffen waren schließlich jene Orte, deren enge Buchten die Ansammlung der Wassermassen nochmals potenzierten.

DWD Das Ostseesturmhochwasser 1872 Teil 22 2

Aus den vielen überlieferten, teils dramatischen Berichten und eindrücklichen Tagebucheinträgen (siehe Link 3 und 4) kann abgeleitet werden, dass jenes Ereignis zwar nicht völlig überraschend kam (die Bevölkerung wusste aus ihrer Erfahrung um die Problematik eines Hochwassers bei rascher Winddrehung), doch in seiner Heftigkeit und Schnelligkeit die meisten massiv überforderte. So fanden viele Menschen und Tiere den Tod in den Wassermassen. Die Rede ist von 271 Toten, mehr als 15000 Obdachlosen und 10000 Viehkadavern. Der Wiederaufbau dauerte viele Jahre. Von den Ausmaßen dieser Katastrophe zeugen noch historische Hochwassermarken an den Gebäuden sowie die Einträge in den Chroniken. Zu diesem runden Jahrestag gibt es außerdem an einigen Orten Ausstellungen zu den damaligen Ereignissen.
Sie sehen: Sturmfluten an der Ostsee können tückisch und verheerend sein. Durch diese „Rückschwappeffekte“ kann es sogar passieren, dass schwere Sturmfluten vor Ort selbst bei relativ windschwachen Verhältnissen und damit für viele umso überraschender auftreten. Zudem kann die brenzlige Situation bei stabilen Wetterlagen durchaus auch mehrere Tage anhalten, was zu einer dauerhaften Belastung der Deiche, Stauwälle und Kliffs führt. Im Gegensatz dazu läuft das Wasser an der Nordsee in der Regel zwar höher auf, durch die Gezeiten aber spätestens nach 6 Stunden auch wieder ab.
Mit den heutigen Möglichkeiten der atmosphärischen Prognostik und der modellierten Wasserstandsvorhersage kann ein solches Ereignis mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrere Tage im Voraus erkannt werden. Zudem sind während der letzten Jahrzehnte viele Milliarden in die Küstenschutzmaßnahmen investiert worden, sodass berechtige Hoffnung besteht, dass ein Hochwasser solchen Ausmaßes etwas glimpflicher verläuft – obschon die Bevölkerungsdichte an der Ostseeküste enorm gestiegen ist.

Dipl.-Met. Robert Hausen, Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 13.11.2022
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Das Ostseesturmhochwasser 1872 (Teil 1/2)

An diesem Wochenende (12. und 13. November) jährt sich zum 150. Mal eine der folgenschwersten Naturkatastrophen an der westlichen Ostseeküste der letzten Jahrhunderte: das Ostseesturmhochwasser 1872. In jener Nacht wurden die küstennahen Bewohner von einer, nach heutiger Definition, sehr schweren Sturmflut heimgesucht, die allein in den deutschen Gebieten verschiedenen Quellen zufolge mindestens 271 Tote forderte und tausenden Menschen das Obdach kostete. Darüber hinaus kamen unzählige Tiere in den Fluten ums Leben und die öffentliche sowie private Infrastruktur auf Land und See wurde massiv beschädigt. Doch wie konnte es zu einem solchen Extremereignis kommen?

Zunächst muss ein solches Hochwasser im Bereich der Ostsee von den deutlich bekannteren und auch häufigeren Sturmfluten an der Nordseeküste unterschieden werden. Im Gegensatz zu den tidenabhängigen Ereignissen der Nordsee sind die Schwankungen zwischen Ebbe und Flut in der Ostsee deutlich geringer. Ursächlich dafür ist die Eigenschaft der Ostsee als sogenanntes „halbgeschlossenes Randmeer“, womit vor allem die herrschenden Windverhältnisse und -entwicklungen in den Mittelpunkt der Hochwasservorhersagen rücken – die astronomischen Randbedingungen können somit in erster Näherung vernachlässigt werden.

Grundsätzlich kann man sich die Ostsee als eine besonders große Badewanne vorstellen, in der die Wassermassen aber alles andere als stationär lagern, sondern den äußeren dynamischen meteorologischen Einflüssen direkt unterworfen sind. Beispielsweise senkt sich der Meeresspiegel bei einem ablandigen Wind (Windrichtung vom Land aufs Meer) vor der Küste, im Gegensatz dazu erhöht er sich bei einem auf die Küste gerichteten (auflandigem) Wind deutlich. Dazu kommt, dass beispielsweise der Durchzug eines Tiefs keine statischen Windverhältnisse verursacht, sondern es typischer Weise zu deutlichen Veränderungen der Windrichtung und -stärke innerhalb kürzester Zeit kommen kann. Damit sind folglich auch die unterschiedlichen Küstenabschnitte einer schnellen zeitlichen Veränderung der Gefährdung unterworfen.

DWD Das Ostseesturmhochwasser 1872 Teil 12

Zur damaligen Zeit war die meteorologische Wissenschaft natürlich noch in den Kinderschuhen und weit von jenen prognostischen Vorhersageleistungen entfernt, die wir heute mit den mittlerweile meist zuverlässigen und hochaufgelösten atmosphärischen Wettermodellen erreichen. Gleiches gilt für die darauf aufbauenden Modelle zur Wasserstandvorhersage. Auch die damalige Quantität der Beobachtungsdaten ist mit den heutigen Möglichkeiten nicht vergleichbar. Nichtsdestotrotz kann die historische Wetterlage von damals aus den verfügbaren Daten berechnet werden, wenngleich man auf einen gewissen Grad an Genauigkeit verzichten muss. Zur Berechnung behilft man sich dabei statistischen Methoden der heutigen Zeit und vertraut auch auf die mittlerweile etablierte Ensembletechnik. Ein sehr bekannter und frei verfügbarer Datensatz ist beispielsweise aus dem Projekt 20CR der NOAA entstanden, das einen globalen atmosphärischen Datensatz des Wetters von 1836 bis 2015 generierte. In diese Zeit fallen unter anderem auch markante historische Wetterereignisse wie das Ostseesturmhochwasser 1872.

Die Analysen der Wetterkarten für den damaligen Zeitraum zeigen eindeutig, dass auch diese Naturkatastrophe (wie auch viele andere) nicht die eine monokausale Ursache aufweist. Vielmehr ist es eine nachteilige Kombination von Wetterlagen, die kumuliert in einer besonders gefährlichen Situation münden. So war die Wetterlage im November 1872 bereits von Monatsbeginn an durch eine überwiegend westliche Großwetterlage gekennzeichnet. Im Bodendruckfeld standen sich häufig ein kräftiges Tief über Skandinavien und eine Hochdruckzone mit Schwerpunkt über Südwesteuropa und dem westlichen Mittelmeerraum gegenüber. Daraus entwickelte sich eine lang anhaltende und kräftige westliche Strömung, die sich in der ersten Novemberdekade immer wieder regenerieren konnte. Zudem verschärfte sich der Gegensatz zwischen dem hohen Luftdruck über Südeuropa und den Tiefs über Skandinavien mit Fortdauer zunehmend. Der daraus resultierende starke westliche Wind trieb damit über mehrere Tage hinweg Wasser in die östliche und nördliche Ostsee, das via Skagerrak und Kattegat durch weiteres Ozeanwasser ersetzt werden musste. So gibt es Berichte von deutlich unterdurchschnittlichen Wasserständen (bis 90 cm unter Mittelwasser) in der Flensburger Förde sowie der Kieler und Lübecker Bucht.

Etwa um den 10.11.1872 änderte sich die bisherige Westwetterlage zwar grundlegend, das Fundament für die kommende Katastrophe war damit aber gelegt. Die spannende weitere meteorologische Entwicklung und einen Einblick in die massiven Folgen für die Anrainer der westlichen Ostsee sind aber erst im zweiten Teil des Themas des Tages zu finden (Veröffentlichung am 13.11.2022).

Dipl.-Met. Robert Hausen, Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 12.11.2022
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DWD Das Ostseesturmhochwasser 1872 Teil 12 2

Das Wetter am 11. November 1952

Genau 70 Jahre ist es am heutigen 11. November 1952 her, dass der Deutsche Wetterdienst gegründet wurde. In Sachen Wetter und Klima ist in dieser Zeit viel passiert und nicht nur deshalb ist ein Blick auf das Wetter am Gründungstag sehr interessant.

Abbildung 1 zeigt die Wetterkarte des Deutschen Wetterdienstes vom Dienstag, 11. November 1952 um 7 Uhr morgens. Hinter einem Tief über der Ostsee strömte auf direkten Weg vom Nordmeer über die Nordsee arktische Polarluft nach Deutschland. Mit dem Hoch mit Schwerpunkt westlich der Britischen Inseln lässt sich die Großwetterlage „Nord zyklonal“ (Nz) klassifizieren, der wir im bisherigen Herbst 2022 überhaupt noch nicht begegnet sind. Die Drängung der Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks) verrät, dass die Strömung recht straff war, was recht windiges Wetter bedeutete. Im Bereich der über Süddeutschland liegenden Kaltfront kam es gebietsweise zu Niederschlägen (schräg nach oben rechts schraffierte Bereiche), die zum Teil als Schnee fielen (gekennzeichnet durch die Sterne). Im Norden traten Schauer auf (markiert durch nach unten weisende Dreiecke).

DWD Das Wetter am 11. November 1952

 

Die Beobachtungen (siehe Abbildung 2, 3. Spalte oben) zeigen Temperaturen zwischen 0 und 6 Grad im Tiefland und Frost im höheren Bergland. Auf der Zugspitze wurden -11 Grad gemessen bei einer Schneehöhe von 4 Metern (!). Da muten die am heutigen Freitagmorgen gemessenen 20 cm Schnee dort ganz schön kümmerlich an.

Darüber hinaus zeigen die damaligen Beobachtungen, dass es vor allem im Süden auch viel geregnet hat. In Oberstdorf fielen sogar 51 Liter pro Quadratmeter in 24 Stunden (siehe 4. Spalte oben), was umgemünzt auf unser heutiges Warnmanagement eine Unwetterwarnung vor ergiebigen Dauerregen bedurft hätte. Auch sonst gab es im Süden häufig 10 bis 30 Liter pro Quadratmeter in 24 Stunden.

DWD Das Wetter am 11. November 1952 1

 

Und wie war die Vorhersage? Das verrät Abbildung 3 im unteren Teil, wobei die Vorhersagen allerdings für den kommenden Tag galten, also dem 12. November 1952. Erwartet wurden in Südbayern noch Schneefälle, die aber nachlassen sollten. In den anderen Regionen wurde mit Schauern, teils als Regen, teils als Schnee, gerechnet. Die Höchsttemperaturen sollten bei 1 bis 4 Grad liegen, nachts wurde häufig leichter Frost prognostiziert. Auch in den Folgetagen sollte es nach kurzer Pause nasskalt weitergehen. Von derartig nasskalten Verhältnisse sind wir derzeit zwar noch weit entfernt, im Laufe der kommenden Woche deutet sich aber eine Abkühlung an.

DWD Das Wetter am 11. November 1952 2

Dipl.-Met. Simon Trippler
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 11.11.2022
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Wenn ein Kaltlufttropfen in die Suppe spuckt…

Rückseitig einer nach Osteuropa abgezogenen Kaltfront ist der Luftdruck bereits stark gestiegen. Eine Hochdruckzone hat sich von der nördlichen Iberischen Halbinsel bis ins östliche Mitteleuropa aufgebaut. Der Schwerpunkt des Hochs, das auf den Namen Charly hört, liegt dabei über Süddeutschland und den Alpen. Bis zum Wochenende kann sich Charly noch weiter kräftigen, verschiebt seinen Schwerpunkt allerdings mehr ins östliche Mitteleuropa und zum nördlichen Balkan (siehe Abbildung 1).

DWD Wenn ein Kaltlufttropfen in die Suppe spuckt…

Anhand der Konstellation wäre nun anzunehmen, dass sich vielfach sonniges und trockenes Wetter über die nächsten Tage einstellt. Für viele Regionen mag das stimmen. Allerdings erhalten in den Herbst- und Wintermonaten bei hohem Luftdruck und windschwachen Verhältnissen oftmals die Spielverderber „Nebel und Hochnebel“ ein Mitspracherecht. In den kommenden Tagen schaut man insbesondere in den Flussniederungen oder größeren Senken des Südens und der Mitte sprichwörtlich in die Röhre. Die durchaus zähen Nebel- und Hochnebeler mindern die Sonnenausbeute erheblich oder lösen sich zum Teil tagsüber gar nicht auf. Die Höchstwerte verharren in den betroffenen Regionen dann signifikanter im einstelligen Bereich als im Rest des Landes.

DWD Wenn ein Kaltlufttropfen in die Suppe spuckt…

Wolkenreiches und zudem nasses Wetter unter Hochdruckeinfluss? Klingt zunächst nach einem Widerspruch, lässt sich aber einem weiteren Störenfried zuschreiben: Einem sogenannten Kaltlufttropfen. Wetterkarten, die in Zeitungen, TV oder anderen Medien verbreitet werden, bilden in aller Regel nur die Luftdrucksituation am Boden ab. In der Wettervorhersage ist es allerdings wichtig die Atmosphäre dreidimensional zu betrachten, sodass höhere Luftschichten enorm wichtig sind. Eines dieser wichtigen Höhenniveaus liegt auf etwa 5500 m (500 hPa). Hier lassen sich ebenfalls Tiefs und Hochs finden. In den mittleren Breiten laufen diese wellenförmig um den Globus und werden Keile (Hochs) und Tröge (Tiefs) genannt. Manchmal bilden sich auch abgeschlossene Druckgebilde, die entsprechend ihren Bodenpendants Höhenhoch oder Höhentief getauft werden. Die Entwicklung am Boden ist in aller Regel mit den höheren Luftschichten gekoppelt. In den aktuellen Höhenwetterkarten lässt sich die Etablierung eines umfangreichen Höhenhochs über Mitteleuropa erkennen. Leicht östlich davon verschoben, befindet sich unser oben schon erwähntes Bodenhoch. Zuweilen kommt es jedoch vor, dass, wenn man auf das Barometer schaut, sich etwa Höhentiefs überhaupt nicht am Boden widerspiegeln. Diese sogenannten „Kaltlufttropfen“ sind meist mehr oder weniger kleinräumigere kreisförmige Gebilde mit einer zyklonalen Rotation (gegen den Uhrzeigersinn), die im Vergleich zur Umgebung mit kälterer Luft angereichert sind.

DWD Wenn ein Kaltlufttropfen in die Suppe spuckt… 1

Die Krux bei diesen Kaltlufttropfen ist jedoch, dass sie regelmäßig die Wettermodelle vor größere Schwierigkeiten stellen. Bildlich gesprochen könnte man auch sagen, dass sie wie ein Fettauge in der Suppe herumwabern. Ein gutes Beispiel ist die Entwicklung in den kommenden Tagen. Recht sicher ist, dass sich über Osteuropa ein Höhentief ausbildet und von dort kommend einen Bogen schlagen wird vom Balkan über Italien und die Westalpen. Zum Montag erreicht er dann den Südwesten und Westen Deutschlands. Also wandert quasi fast einmal im Uhrzeigersinn um unser Höhenhoch herum. Das zeigen zumindest die aktuellsten Versionen des deutschen (ICON) und europäischen (ECMWF) Modells von heute Morgen (siehe Abbildung 2 und 3). Beim genauen Timing sind sich die beiden Modelle jedoch auch noch nicht einig. Zieht man nun noch das amerikanische Modell (GFS) hinzu, wird es nicht besser. Das GFS möchte den Kaltlufttropfen bis Montagmittag eher über die zentralen Ostalpen nach Süddeutschland ziehen lassen (Abbildung 4).

DWD Wenn ein Kaltlufttropfen in die Suppe spuckt… 2

Aber selbst innerhalb eines Wettermodells gibt es bei Höhentiefs oft große Unterschiede. Das ICON Modell wollte etwa vor zwei Tagen das Höhentief noch über dem Mittelmeer „vergammeln“ lassen. Und das GFS Modell hatte im gestrigen Abendlauf den Kaltlufttropfen noch über der Appenninhalbinsel. Durch ihre Kleinräumigkeit bleibt ihr Verhalten also auch für die Modelle meist schwer berechenbar, insbesondere ihre Zugbahn.

DWD Wenn ein Kaltlufttropfen in die Suppe spuckt… 1

Wie könnte der Kaltlufttropfen nun mit allen Unsicherheiten das Wetter zum Montag beeinflussen? Durch das Absinken der Höhenkaltluft im Kern des Tiefs im Vergleich zur deutlich wärmeren Luft im Bodenniveau setzen vertikale Umlagerungen ein. Bei ausreichend verfügbarer Luftfeuchte führt dies nach aktuellem Stand im Südwesten (ECMFW und ICON) oder gesamten Süden (GFS) zu wolkenreichem Wetter mit kräftigeren Schauern oder auch Gewittern. In den Niederschlagsprognosen für den kommenden Montag spiegeln sich die Unsicherheiten der Zugbahn wider. Man könnte also auch resümieren, dass der Kaltlufttropfen dem Hochdruckwetter in die Suppe spuckt.

M.Sc Sebastian Altnau ( Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 10.11.2022
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Später Hurrikan „Nicole“ bedroht die Ostküste der USA

Bereits am vergangenen Freitag, dem 4. November, kam es im Bereich des nördlichen Karibischen Meeres und dem mittleren Westatlantik zu einer Tiefdruckentwicklung (in Fachkreisen auch Zyklogenese genannt), die vom „National Hurricane Center“ (kurz: NHC) der USA aufmerksam verfolgt wurde. Am Folgetag, dem 5. November; entwickelten sich dann knapp nördlich von Puerto Rico verstärkt Schauer und Gewitter, die jedoch nicht allzu organisiert daherkamen. Allerdings sollte ein feuchter Zustrom aus der Karibik und das noch sehr warme Oberflächenwasser für eine zunehmende Organisation des Systems sorgen. Die Entwicklung verstärkte sich und so wurde das System am Montag, dem 7. November, schließlich als subtropischer Sturm „Nicole“ getauft. Da sich die Konvektion am gestrigen Dienstag insbesondere im Kernbereich von „Nicole“ noch einmal verstärkte und das System tropische Züge aufwies, wurde es als „tropischer Sturm“ eingestuft.

DWD Spaeter Hurrikan Nicole bedroht die Ostkueste der USA

Aktuell (Stand: 9. November, 14 Uhr) liegt der Kern von „Nicole“ im Bereich der nördlichen Bahamas, für die bereits eine Hurrikan-Warnung ausgegeben wurde. Diese gilt auch für nahezu die gesamte Ostküste Floridas, denn „Nicole“ bewegt sich westwärts und soll Florida voraussichtlich in den Frühstunden des Donnerstags als Wirbelsturm der Kategorie 1 (nach der Saffir-Simpson-Skala) erreichen. Der Landgang erfolgt den Wettermodellen zufolge knapp nördlich von West Palm Beach.

DWD Spaeter Hurrikan Nicole bedroht die Ostkueste der USA 1

Bereits in diesen Stunden ziehen die ersten Schauer im Südwesten Floridas auf, in den Küstenregionen legt der Wind bereits zu. Im Laufe der kommenden Nacht verstärken sich die Wettererscheinungen weiter. Dann muss zunehmend mit Böen bis Orkanstärke gerechnet werden. Der starke Wind „drückt“ auch die Wassermassen an der Meeresoberfläche in Richtung Florida, weswegen eine Sturmflut möglich ist. Zudem werden die hohen Wellen noch durch die aktuelle Mondphase unterstützt bzw. erhöht. Auch was sintflutartige Regenfälle angeht, hat „Nicole“ einiges im Gepäck. In Florida werden recht verbreitet Niederschläge von 50 bis 100 Liter pro Quadratmeter in 24 Stunden von den Wettermodellen simuliert, lokal können diese auch noch deutlich höher ausfallen. Zwar wird sich „Nicole“ nicht ganz so schnell und heftig entwickeln wie Hurrikan „Ian„, der Ende September in Florida für erhebliche Schäden sorgte. Dennoch sollten die Auswirkungen wie Überschwemmungen und Sturmschäden nicht unterschätzt werden, insbesondere in den auch von „Ian“ getroffenen Regionen.

Aber nicht nur der US-Staat Florida bekommt „Nicole“ zu spüren. Über Florida schwächt sich der Wirbelsturm am Donnerstag zwar etwas ab und wird „nur“ noch als „tropischer Sturm“ geführt, dreht aber nach Norden hin ab und wird am Freitag als „tropische Depression“ über Georgia hinweg bis nach Virginia ziehen. Dabei werden weitere heftige Starkregenfälle und Sturmböen erwartet. In der Nacht zum Samstag erreicht das System dann unter weiterer Abschwächung voraussichtlich auch die Ostküste Kanadas.

DWD Spaeter Hurrikan Nicole bedroht die Ostkueste der USA 2

Was macht „Nicole“ nun aber so besonders? Mit der Entwicklung von „Nicole“ bildeten sich in diesem November gleich drei Hurrikans im Atlantik, was zuvor nur im Jahr 2001 der Fall war. Sollten die Vorhersagen recht behalten und „Nicole“ als Hurrikan auf Florida treffen, wäre es der zweitspäteste Hurrikan, der die kontinentale USA trifft. Lediglich Hurrikan „Kate“ war als Kategorie-2-Wirbelsturm im 22. November 1985 etwas später dran, als dieser im nordwestlichen Florida (dem sogenannten „Florida Panhandle„) auf Land traf. An der Ostküste Floridas wäre „Nicole“ sogar der späteste jemals registrierte Wirbelsturm, der dort auf Land traf.

MSc.-Met. Sebastian Schappert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 09.11.2022
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Leoniden – schwacher Sternschnuppenstrom

Sternschnuppen können wir genau dann sehen, wenn die Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne einen Meteorstrom durchquert. Diesen kann man sich als Teilchenwolke vorstellen, die aus den Auflösungsprodukten von Kometen oder seltener Asteroiden besteht und sich aus Staub, Eis und Gesteinsresten zusammensetzt. Passiert die Erde nun auf ihrer Umlaufbahn eine solche Teilchenwolke, können die meist sehr kleinen Teilchen von nur wenigen Millimetern in die Erdatmosphäre eintreten. Durch die hohe Geschwindigkeit beim Eintritt wird die Luft in der Umgebung durch Reibung auf mehrere Tausend Grad Celsius erhitzt. Aufgrund dieser starken Hitzeentwicklung verdampft das Teilchen und die umgebenden Luftmoleküle werden ionisiert. Dies erzeugt den allseits bekannten hellen Leuchtstreifen am Himmel, den wir als Sternschnuppe kennen.

DWD Leoniden schwacher Sternschnuppenstrom

Die Aktivität eines Meteorschauers wird in der Regel mithilfe der Kennzahl ZHR beschrieben. Sie gibt die Anzahl der Sternschnuppen an, die an einem sehr dunklen, wolkenfreien Himmel zu beobachten wären, wenn der Punkt, in dem der Meteorschauer seinen Anfang zu nehmen scheint („Radiant“), über dem Beobachter im Zenit steht.

Im November passiert die Erde den Strom der Leoniden. Der Name leitet sich vom Sternbild des Löwen (lateinisch „Leo“) ab, an dessen Radiant sich der Meteorstrom befindet. Der Komet, dessen abgelöste Partikel als Sternschnuppenschauer dabei auf die Erde niederprasseln, nennt sich Tempel-Tuttle. Der Strom der Leoniden nimmt aufgrund der immer breiteren Streuung der Partikel von Jahr zu Jahr ab, allerdings gibt es etwa alle 32 Jahre einen Höhepunkt und so einen haben wir in diesem Jahr. Berechnungen zufolge sind während des Maximums in einer Stunde 300 bis 500 Meteore am Himmel zu sehen. Im Jahr 1966 gab es beim Durchqueren einer besonders dichten Staubwolke einmal über 1000 Sternschnuppen. In diesem Jahr gehen die Astronomen von einer ZRH von 250 aus.

Der Aktivitätszeitraum der Leoniden startete bereits am 6. November und wird am 30. November enden. Die besten Chancen auf viele Sternschnuppen hat man in der Nacht vom 17. auf den 18. November, dann passiert die Erde die dichteste Staubwolke. Auch die Mondphase spielt dann mit, denn am heutigen Dienstag gegen Mittag hatten wir Vollmond und nun wird es jede Nacht mit abnehmendem Mond etwas dunkler. Und je dunkler der Himmel und die Umgebung ist, umso heller erscheinen die Sternschnuppen.

Falls Sie nächste Woche keine Zeit haben oder Ihnen die Sternschnuppen entwischen, dann können Sie Ihr Glück noch einmal im Dezember versuchen. Dann nämlich passieren wir den Strom der Geminiden.

Dipl. Met. Jacqueline Kernn
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 08.11.2022
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Die Wetterlage stellt sich um

Die Wetterlage stellt sich in den kommenden Tagen grundlegend um. Am morgigen Dienstag liegt ein mächtiger und hochreichender Tiefdruckkomplex über dem Nordatlantik und Großbritannien. Hochreichend, weil das Tief sowohl in höheren Atmosphärenschichten als auch in Bodennähe zu finden ist (Abbildung 1). Mitteleuropa befindet sich auf dessen Vorderseite und damit gelangt Deutschland erneut in eine kräftige südwestliche Strömung. Diese „Südwestdüse“ schaufelt sehr milde Luft zu uns. Vor allem in den Niederungen Bayerns beginnt der Tag allerdings vielerorts mit dichtem Nebel, der sich am Vormittag nur zögerlich auflöst. Insbesondere entlang der unteren Donau und in den südlich angrenzenden Flussniederungen könnte sich der Nebel auch bis in den Mittag oder frühen Nachmittag hinein halten. Dort, wo sich der Nebel aufgelöst hat oder wo es gar keinen Nebel gegeben hat, beginnt der Tag nochmals mit viel Sonnenschein und die Temperaturen geben ordentlich Gas. Die milde Subtropikluft treibt die Temperaturen auf 13 bis 19 Grad, viel zu mild für Anfang November. Am wärmsten wird es im Breisgau und an den Nordrändern der Mittelgebirge.

DWD Die Wetterlage stellt sich um

Im Laufe des Tages rückt uns der Tiefdruckkomplex von Westen her aber allmählich auf die Pelle, was sich im Westen und Nordwesten mit aufziehenden kompakten Wolkenfeldern bemerkbar macht. Am späten Nachmittag und Abend kann es dann im Westen stellenweise den ersten Regen geben, ansonsten bleibt es noch trocken. In der Nacht zum Mittwoch kommt dann die Kaltfront, die für den Regen verantwortlich ist, allmählich ostwärts voran, womit sich auch der Regen ostwärts ausbreitet. Größere Regenmengen sind dabei meist nicht zu erwarten, nur im Südwesten regnet es etwas kräftiger. Trocken bleibt es noch im Südosten Bayerns, wo sich der Nebel in den Niederungen erneut breitmacht.

Am Mittwoch zeigt sich das Wetter eher von seiner ungemütlichen Seite. Der Regenschirm sollte nicht vergessen werden, denn immer wieder regnet es, was mit der Kaltfront zusammenhängt, die diagonal über Deutschland liegt. Zwar gibt es auch mal längere Regenpausen – am ehesten von NRW bis nach Schleswig-Holstein – die Sonne kann sich aber auch dort nur zeitweise in den wenigen Wolkenlücken zeigen. Ab dem Nachmittag kann es an der Nordsee schauern, vielleicht auch mal mit Blitz und Donner. Mild bleibt es weiterhin, die südwestliche Strömung hält nämlich noch an.

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Am Donnerstag überquert der Rest des ursprünglichen Tiefdruckkomplexes als Höhentrog Deutschland von West nach Ost (Abbildung 2). Damit wird die Warmluftzufuhr beendet. Nach Überqueren des Trogs steigt von Südwesten her der Luftdruck an. Der Regen verlagert sich zunehmend in den Süden und Südosten Deutschlands, wo er sich an den Alpen noch länger hält. In den Hochlagen kann es dort auch etwas schneien. Ansonsten ist es Dank des zunehmenden Hochdruckeinflusses schon meist trocken und im Tagesverlauf bekommt die Wolkendecke immer mehr Lücken. Für manche Regionen könnten dies auch die letzten Chancen auf Sonnenschein werden (um schon mal etwas vorzugreifen). Mit 10 bis 15 Grad gehen die Temperaturen etwas zurück.

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Am Freitag entsteht in der Höhe (also in etwa 5-6 km Höhe) direkt über Deutschland eine Hochdruckzelle. Dadurch baut sich östlich und südöstlich von uns auch in Bodennähe ein mächtiges Hochdruckgebiet auf (Abbildung 3). Folglich setzt sich in ganz Deutschland ruhiges Hochdruckwetter durch. „Ruhig“ bedeutet im Herbst und Winter aber nicht zwangsläufig „sonnig“. Nicht selten macht sich Nebel und Hochnebel breit und fungiert als Spielverderber. Vor allem in den Niederungen Süd- und Mitteldeutschlands kann dem einen oder anderen das typische „Novembergrau“ aufs Gemüt schlagen. Mehr Chancen auf Sonne gibt es im südlichen und damit höher gelegenen Alpenvorland, in den Hochlagen der Mittelgebirge und von der Norddeutschen Tiefebene bis zu den Küsten. Allerdings ist die genaue Verteilung der Nebelgebiete – wie fast immer bei solchen Wetterlagen – im Vorfeld schwer vorherzusagen.

Wie lange dieses Hochdruckwetter andauert und welche Auswirkungen dies auf den genauen Wetterablauf am Wochenende und darüber hinaus hat, bleibt noch abzuwarten. Zusätzlich zum Hoch hat nämlich auch noch ein „Katlufttropfen“ seine Finger mit im Spiel (in Abbildung 3 zu finden über dem Mittelmeer südlich von Frankreich). Dabei handelt es sich um ein mit Kaltluft gefülltes Tiefdruckgebiet in höheren Atmosphärenschichten. Dieses Höhentief soll bereits in der Nacht zum Freitag über Polen und Ungarn abtropfen und sich auf dem Weg nach Süden Richtung Mittelmeer machen. Solche Kaltlufttropfen sind aber meist sehr unentschlossene Gesellen, die sich oft erst sehr spontan entscheiden, wohin ihre Reise gehen soll.

Die Zugbahn dieses Kaltlufttropfens wird von den gängigen Wettermodellen aktuell noch sehr unterschiedlich berechnet. Fest steht zwar, dass das ruhige Hochdruckwetter noch mindestens das gesamte Wochenende über anhält und Niederschläge daher nicht zu erwarten sind. Allerdings entscheidet die Verlagerung dieses Höhentiefs darüber, wie beständig die Hochdruckzelle ist, wohin sich ihr Schwerpunkt verlagert und aus welcher Richtung die Luftmassen nach Deutschland gelangen. Und das entscheidet darüber, wie zäh der (Hoch-)Nebel ist, wo er sich ausbreitet und wie hoch die Chancen auf Sonne sind. Auch das ruhigste Hochdruckwetter kann also im Detail noch für einige Überraschungen sorgen.

Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 07.11.2022
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst

Der Aeolus-Satellit und sein Nutzen

Aeolus war in der griechischen Mythologie der von Zeus als Herrscher über die verschiedenen Winde eingesetzte Günstling der Götter. Darauf beruht die Namensgebung des gleichnamigen Satelliten mit indirekter Windmessung durch Fernerkundung.

Direkte Beobachtungen von Winddaten haben eine begrenzte räumliche Abdeckung im globalen synoptischen Beobachtungssystem. Aeolus schließt diese Lücke zumindest teilweise, leistet damit einen wichtigen Beitrag zur numerischen Wettervorhersage (NWP) im Allgemeinen und verbessert die Initialbedingungen für Wettervorhersagen im Speziellen.

Die Bestückung des Aeolus-Satelliten ist das erste funktionierende weltraumgestützte Doppler-Wind-Lidar der Welt und das erste weltraumgestützte Lidar Europas. Wind-LiDAR (Light Detection And Ranging) stellt ein optisches Fernerkundungsverfahren zur Messung von horizontaler Windgeschwindigkeit und Windrichtung dar. Dabei wird sich der Doppler-Effekt zu Nutze gemacht, indem aus der Frequenzverschiebung zwischen ausgesendeten und empfangenen Laser-Signal aufgrund der Reflexion an Luftmolekülen (Rayleigh-Streuung) und Wassertröpfchen oder Aerosolen (Mie-Streuung) in der Erdatmosphäre Betrag und Richtung von Windvektoren berechnet werden. (siehe mehr dazu im aktuellen Newsletter des ECMWF).

Ziel der Mission ist die Anwendung dieser neuartigen Technologie im Weltraum zum Zweck der Wettervorhersage und zur Verbesserung des Verständnisses der atmosphärischen Dynamik, insbesondere in den Tropen

Der größte Teil der Aeolus-Windabdeckung stammt von der Rayleigh-Streuung (Rückstreusignal von Luftmolekülen bei wolkenfreien Verhältnissen), aber die Mie-Streuung (partikelförmige Rückstreuung von Wassertröpfchen und Aerosolen) haben eine deutlich kleinere Fehlerrate und weisen eine bessere horizontale Auflösung als die Rayleigh-Winde auf.

Der neueste Datensatz ab 2021 ergab die bisher größte positive Auswirkung von Aeolus auf die Kurz- und Mittelfristvorhersagen des EZMWF-Modells in Reading, mit statistisch signifikant positiver Auswirkung auf Wind-, Temperatur-, Geopotential- und Feuchtevorhersagen in der tropischen und polaren Troposphäre sowie der unteren Stratosphäre.

Aeolus hat über die numerische Wettervorhersage hinaus auch andere wichtige Anwendungen. Insbesondere die Forschung im Bereich der Atmosphärendynamik hat von den Aeolus-Winden profitiert, um Schwerewellen, äquatoriale Wellen, plötzliche Stratosphären-Erwärmungen (SSW) sowie die Überwachung der Quasibiennalen Oszillation (QBO) in der äquatorialen Stratosphäre zu untersuchen.

Die Aeolus-Winde erweisen sich darüber hinaus als hilfreich, um andere satellitengestützte Windbeobachtungen zu verifizieren und nachfolgend zu verbessern, z. B. atmosphärische Bewegungsvektoren.

Als erstes hochspektrales Lidar im Weltraum liefert Aeolus auch optische Eigenschaften im UV-Bereich (Ultraviolett). Diese werden in der Forschung über die Zusammensetzung der Atmosphäre verwendet, z. B. für den Rauch von Waldbränden, den Staub der Sahara, die Plume von Vulkanausbrüchen und die Assimilation von Daten über die Zusammensetzung der Atmosphäre.

Diese einzigartige Fähigkeit eines Doppler-Wind-Lidars, dynamische und optische Eigenschaften simultan zu erfassen und zu messen, sollte in Zukunft weiter genutzt werden – in etwa für gekoppelte Vorhersagen der atmosphärischen Zusammensetzung mit Wolkenvorhersagen.

Dipl.-Met. Dr. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 06.11.2022
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst

Düseneffekt vom Feinsten: Mistral und Cers

Mit Blick auf die vergangenen ungewöhnlich milden Wochen kaum zu glauben, aber tatsächlich wahr: Vor wenigen Tagen hat sich doch tatsächlich das Wörtchen „Schnee“ in unseren Vorsagetexten eingefunden. Nun gut, ehrlicherweise muss man sagen, dass sich in seinem direkten Umfeld auch stets die Gebietsbezeichnung „Alpen“ aufhielt, aber man ist ja beinahe schon froh, wenn einem auch das Wetter Hinweise auf das Winterhalbjahr liefert und nicht nur Spekulatius und Lebkuchen in den Supermarktregalen.

Am gestrigen Freitag und in der vergangenen Nacht hat es also in den Alpen zum Teil auf unter 1000 m geschneit. Grund hierfür war einerseits der Ausläufer eines Nordseetiefs, mit dem deutlich kühlere Luft nach Deutschland einfloss, und zum anderen eine Tiefentwicklung über dem Golf von Genua, das sehr feuchte Luft über die Alpen „schaufelte“. Dieses zuletzt genannte Tief hört auf den Namen OTTILIE beziehungsweise im internationalen Raum auf EVA. Ihm gegenüber steht Hoch BAHRUDIN, das von der Iberischen Halbinsel aus für eine Wetterberuhigung bei uns in Deutschland am heutigen Samstag sorgt.

Alles andere als ruhiges Wetter bedeutet diese Druckkonstellation dagegen für den Süden Frankreichs. Denn die sich zwischen BAHRUDIN und OTTILIE eingestellte nordwestliche bis nördliche Strömung sorgt dort für mächtig Wind. Cers und Mistral heißen die beiden Windsysteme, die sich seit Donnerstag nach und nach ausgebildet haben. Bei beiden handelt es sich um einen böigen und zumeist trockenen Fallwind.

Dabei weht der Mistral aus nördlicher bis nordwestlicher Richtung in das Rhônetal hinein und von dort in den angrenzenden Mittelmeerraum wieder hinaus. Im Rhônetal, eingepfercht zwischen Zentralmassiv im Westen und Alpen im Osten, erfährt der Wind quasi einen Düseneffekt, durch den nicht selten Orkanböen auftreten. Ähnlich verhält es sich beim Cers, bei dem sich der Wind aus Nordwesten kommend zwischen Pyrenäen im Südwesten und Zentralmassiv im Nordosten durchquetschen muss und dadurch ebenfalls mitunter enorm beschleunigt wird.

DWD Dueseneffekt vom Feinsten Mistral und Cers

Gestern und auch schon vorgestern war zunächst einmal der Cers an der Reihe, denn BAHRUDIN lag noch westlich der Iberischen Halbinsel, sodass die Strömung zwischen dem Hoch und Tief OTTILIE noch zu wenig Nordkomponente hatte, als dass sie durchs Rhônetal hätte durchpfeifen können. Vor allem zwischen Toulouse und der französischen Mittelmeerküste kam es dabei immer wieder zu Sturmböen und am Ostrand der Pyrenäen (Raum Perpignan) wiederholt zu schweren Sturm- bis Orkanböen zwischen 100 und 130 km/h.

DWD Dueseneffekt vom Feinsten Mistral und Cers 1

Im Laufe der vergangenen Nacht verlagerte sich BAHRUDIN über die Iberische Halbinsel, gleichzeitig zog OTTILIE etwas weiter südwärts Richtung Korsika. Damit „sprang“ nun auch das Rhônetal respektive der Mistral an und es kam und kommt auch weiterhin südlich von Valence zu Sturm- bis schweren Sturmböen zwischen 75 und 100 km/h.

DWD Dueseneffekt vom Feinsten Mistral und Cers 2

Aber auch an der Côte d’Azur und im Großraum Marseille war der Wind vor allem am Freitag und in der vergangenen Nacht nicht von schlechten Eltern mit immer wieder auftretenden Sturm- bis orkanartigen Böen zwischen 80 und 110 km/h (in Bec De L’Aigle, südöstlich von Marseille, sogar 115 km/h). Noch eine Schippe drauf packte der Mont Aigoual, ein 1567 m hoher Berg der Cevennen im Südosten des Zentralmassivs. Auf seinem Gipfel wurden vergangene Nacht stolze 144 km/h gemessen, also eine extreme Orkanböe.

Im Laufe des heutigen Tages und in der kommenden Nacht zum Sonntag geht aber sowohl dem Cers, als auch dem Mistral allmählich die Puste aus. Dann heißt es bei den Bewohnern der betroffenen Regionen sicherlich: Durchatmen!

Diplom Meteorologe Tobias Reinartz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 05.11.2022
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst