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ICON-RUC – Wetterupdate im Stundentakt

Das Rückgrat unserer Wettervorhersage ist unser globales Wettermodell ICON (ICOsahedral Nonhydrostatic Model). Dabei werden weltweit Wetterdaten wie Temperatur, Druck und Feuchtigkeit von Wetterstationen, Wetterballons, Flugzeugen und Satelliten gesammelt. Diese dienen als Ausgangsdaten für Gleichungen, mit denen das Wetter dann numerisch in die Zukunft berechnet wird. ICON verwendet dafür ein mathematisches Gitter aus Vielecken, sogenannten Ikosaedern, das die Erdoberfläche besser darstellt als ein klassisches Rechteckgitter. Dieses Modell wird alle 6 Stunden neu berechnet. 

ICON RUC – Wetterupdate im Stundentakt 1

Die Deutsche Modellkette von ICON zu ICON-EU bis ICON-D2 mit Ikosaeder-Gitter. (Quelle:DWD) 

Für Europa und Umgebung wird ein Ausschnitt mit einer Auflösung von 6 km berechnet (ICON-6 oder ICON-EU). Darin eingebettet wird, für den Mitteleuropa-Ausschnitt alle 3 Stunden mit aktuellen Daten nun als sogenanntes Lokalmodell ICON-D2 mit einer noch höheren Auflösung von etwa 2 km berechnet, um eine genauere lokale Vorhersage für die nächsten zwei Tage zu bekommen. Dabei fließen auch Daten aus aktuellen Radarmessungen ein. Dies hat unter anderem den Vorteil, dass insbesondere Gewitterzellen, die durch das globale, grobmaschigere Modell durchfallen können, vom Lokalmodell besser simuliert werden können. 

Gewitterlagen sind in der Regel sehr dynamisch. Schon kleine Änderungen können große Auswirkungen auf die Vorhersage haben. So können innerhalb weniger Minuten neue Gewitterzellen entstehen, die meist lokal begrenzt sind, aber vor Ort große Auswirkungen, z. B. durch Starkregen, Sturmböen und Hagel, haben können. Um auf die veränderten atmosphärischen Bedingungen schnell zu reagieren, ist der Abstand von drei Stunden zwischen den Modellrechnungen von ICON-D2 häufig zu lang. Hier kommt ICON-RUC ins Spiel. Dabei steht RUC für (Rapide Update Cycle) Durch eine stündliche Aktualisierung und eine hohe räumliche Auflösung kann das Modell kurzfristige Wetterveränderungen sehr präzise darstellen. So lassen sich bei zum Beispiel bei sommerlichen Gewitterlagen die Regionen besser eingrenzen, in denen die Gewitteraktivität besonders hoch ist. 

Das Besondere an ICON-RUC ist, dass es die mikrophysikalischen Prozesse bei der Niederschlagsbildung mithilfe des sogenannten 2-Momenten-Schemas besser berechnen kann. Dabei wird einerseits die Anzahl der Teilchen berücksichtigt, also wie viele Regentropfen oder Eiskristalle sich in einem bestimmten Luftvolumen befinden. Andererseits werden auch die Masse und das Volumen der Teilchen berücksichtigt, also wie groß oder wie schwer sie sind. Dadurch ergeben sich deutlich realistischere Radarbilder in den Modellsimulationen. Unter anderem ist es nun möglich, die Hagelmasse und die Größe der Hagelkörner mittels dieses Modells zu berechnen. Durch dieses Schema erhofft man sich auch eine genauere Vorhersage von Starkregen und Schneefall. 

ICON RUC – Wetterupdate im Stundentakt 2

Die 2-Stunden-Vorhersage der simulierten Radarreflektivität von ICON-D2 (links) und ICON-RUC (Mitte) sowie die gemessene Radarreflektivität (rechts) zeigen die Gewitter in Mittelsachsen bei Dresden am Sonntagabend (15.06.2025). 

Auch weitere Eigenschaften von Gewitterzellen wie Rotation, Aufwindgeschwindigkeiten und Wassergehalt lassen sich ermitteln. Sie geben Hinweise auf die Intensität sowie auf Begleiterscheinungen wie Hagel, Starkregen und Sturmböen. In Zukunft ist es das Ziel, die vom ICON-RUC simulierten Gewitterzellen mit den aktuellen, im Radar beobachteten Zellen zu verschneiden, um einen nahtlosen und bruchfreien. Übergang von Nowcasting (Kürzestfristvorhersagen, die die nächste Stunde umfassen) zu Modellvorhersagen für die nächsten Stunden zu erreichen. 

Christian Herold
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 17.06.2025
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst 

 

Neues satellitengebundenes Blitzmesssystem hilfreich für Wetterwarnungen?

Die konvektive Saison mit Gewittern jeglicher Intensität hat bereits begonnen. Vom vergangenen Sonntag bis Dienstag gab es die ersten, teils intensiven Gewitter in diesem Frühling. Die meisten Gewitter treten in Deutschland zwischen Mai und August auf. Eines können wir Vorhersagemeteorologen des Deutschen Wetterdienstes kaum erwarten: die Nutzung der Satellitenbilder und der Blitzdaten der neuen Satellitengeneration Meteosat Third Generation (MTG). Voraussichtlich wird diese Satellitengeneration unsere Gewittervorhersagen und -warnungen in Zukunft verändern. 

Neues satellitengebundenes Blitzmesssystem hilfreich fuer Wetterwarnungen teil 1 1 1

Mammatuswolken und Blitz an einer Superzelle bei Sanderson/Texas, USA im Mai 2023. Quelle: Felix Dietzsch  

MTG ist ein geostationäres Satellitensystem, das – an einem festen Punkt über dem Äquator positioniert – aus 36.000 km Höhe über der Erde Europa, Afrika und deren angrenzende Regionen kontinuierlich im Blick behält. Zwar sind die Produkte des MTG noch nicht operationell im Einsatz, stehen aber für die Evaluierung bei den Wetterdiensten zur Verfügung.
Auf die neuen Satellitenprodukte wurde Mitte Februar in einem Tagesthema unseres Kollegen Christian Herold genauer eingegangen. Mit diesen Bildern ist unter anderem das Verfolgen von Gewittern nahezu in Echtzeit und mit deutlich höherer Genauigkeit möglich. Im heutigen Tagesthema soll aber ein Blick auf das neue Blitzmesssystem geworfen werden.
Mit dem Lightning Imager an Bord von MTG werden seit vergangenem Jahr über Europa und Afrika bis nach Südamerika und in den Nahen Osten Blitzdaten gesammelt. Dies geschieht über vier hochfrequente und sehr empfindliche Kameras. Diese detektieren Blitze als optische Lichtimpulse. Im Grunde „sieht“ der Lightning Imager von oben, dass eine Wolke hell wird und flackert. So können Anzahl, aber auch räumliche und zeitliche Ausdehnung sowie die Intensität der Blitze gemessen werden. Eine solche Art der Detektion ist bereits seit Jahren unter anderem über Nord-, Mittel- und Südamerika und den angrenzenden Ozeanen im Einsatz. Nun gibt es solch ein System auf für diese Seite der Erdkugel.
 

In Europa waren bisher nur bodengebundene Messsysteme im Einsatz. Über zahlreiche Antennen, die in bestimmten Abständen über Europa verteilt stehen, können die elektromagnetischen Impulse der Blitze registriert und über die Laufzeitunterschiede deren Position auf wenige 100 Meter Genauigkeit bestimmt werden. Die gefährlichen Boden-Wolken-Blitze als auch die Blitze innerhalb und zwischen den Wolken können so gut erfasst werden. Nur wenige Blitze werden verpasst. Der satellitengebundene Lightning Imager erfasst ebenfalls alle Blitzarten. Zudem kann die Blitzaktivität von Gewittern nun aber auch über Ozeanen als auch über weite Strecken über Land kontinuierlich überwacht werden, während die Detektion über bodengebundene Messsysteme von der Dichte und Verteilung der Sensoren abhängig ist. Mit dem Lightning Imager kann es allerdings auch passieren, dass Blitze verpasst werden, da die Blitzmessung von einem Satelliten aus von der optischen Dicke der Wolken abhängig ist. Sind Gewitterwolken zu mächtig, kann der Lightning Imager unter Umständen Blitze übersehen. Des Weiteren ist die Detektion der Blitze der Parallaxe unterworfen. Gemeint ist, dass der Lightning Imager an Bord des fest über dem Äquator stehenden Satelliten in höheren Breiten – also unter anderem in Mittel- und Nordeuropa – schräg auf die Erde schaut, wodurch die Position der Blitze dort ungenauer wird. Die Kombination von bodengebundenen und satellitengestützten Blitzmesssystemen ermöglicht eine höhere Effizienz und ist von großem Nutzen. 

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Gewitterkomplex im Mai 2023, aufgenommen in Roy/New Mexico, USA. Quelle: Felix Dietzsch 

Wie kann dieses Blitzmesssystem unsere Vorhersagen und Warnungen unterstützen oder verbessern?

Der Umstand, dass nun auch von einem Satelliten aus Blitze erfasst werden, erlaubt uns Vorhersagemeteorologen Gewitter noch umfassender zu erkennen. Zudem ergeben erste Studien folgende Erkenntnisse:
 

In einem sich intensivierenden Gewitter treten in Aufwindregionen sehr viele und insbesondere kurze Blitze auf. Der Lightning Imager kann nicht nur die Anzahl, sondern auch die räumliche Ausdehnung (lange/kurze Blitze) messen. Darüber hinaus kann eine ringförmige Ansammlung von Blitzen um den Aufwindkern in der Nähe von sogenannten „overshooting tops“ (also ein Durchbruch des Aufwinds durch die Tropopause) ein Zeichen für einen extrem starken Aufwind mit einem hohen Potential für großen Hagel und heftigen Starkregen sein. Auch wurde herausgefunden, dass bei in sich zusammenfallenden Gewittern die Blitzlänge zunimmt. Ob uns diese Erkenntnis bei der Erstellung von Warnungen helfen kann, wird die Evaluierung zeigen. 

Forschung wird ebenso hinsichtlich sogenannter „lightning jumps“ (engl. für „Blitzsprünge“) betrieben. Diese beschreiben eine rasche Zunahme der Blitzintensität bzw. der Anzahl an Blitzen und tragen zur Bewertung der Schwere eines Gewitters bei. Solche Blitzsprünge kommen nämlich häufig in schweren Gewittern vor und werden vor allem kurz vor dem Auftreten von (großem) Hagel beobachtet. Unsere Hoffnung ist, dass solche lightning jumps mit dem satellitengebundenen Messsystem noch zuverlässiger detektiert werden können. 

Forschende fanden heraus, dass sich Aufwinde in Gewittern verstärken und auch im Umfang wachsen, kurz bevor die Anzahl an Hagelkörnern innerhalb des Aufwinds sowie die Blitzanzahl zunehmen. Außerdem können in schweren Gewittern mit hohem Schadenspotential häufig mehrere Blitzsprünge beobachtet werden. Also auch die Anzahl an Blitzsprüngen kann einen Hinweis auf die Schwere eines Gewitters geben.
 

Bis es zur operationellen Anwendung der neuen Blitzdaten des Lightning Imagers auf MTG kommt, werden noch einige Monate vergehen. Mit der pre-operationellen Nutzung können wir die neuen Daten aber schon auf Herz und Nieren prüfen. 

Diplom-Meteorologin Julia Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 28.03.2025
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst