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Der Schlüssel zur Klimageschichte: Klimaproxys – Teil 2

  1. Sedimentgesteine:

    Bereits die geomorphologischen Merkmale von (Sediment-)Gesteinen können wertvolle Informationen für die Rekonstruktion früherer Klimabedingungen liefern. Die Geomorphologie befasst sich mit der Form und Entwicklung der Erdoberfläche, also mit der Entstehung und Veränderung von Landschaften. Charakteristische Landschaftsformen wie Gletscherkratzspuren (Abbildung 1) entstehen beispielsweise, wenn Gletscher andere Gesteine über das darunterliegende Material bewegen und dabei linienförmige Rillen hinterlassen. In Regionen wie Afrika, Südamerika, Indien und Australien lassen sich parallele Schleifspuren nachweisen, die unter heutigen klimatischen Bedingungen ungewöhnlich erscheinen. Diese Spuren gelten jedoch als Belege für die Existenz des ehemaligen Superkontinents Gondwana und seine weitreichende Vergletscherung während der Karbon-Perm-Eiszeit vor etwa 360 bis 260 Millionen Jahren. Weitere geomorphologische Strukturen mit klimatischer Aussagekraft sind Wellenrippel (Abbildung 1), die durch Wasser- oder Windbewegung entstehen, Gletschermoränen, Dünen sowie alte Flussterrassen. 

Der Schluessel zur Klimageschichte Klimaproxys – Teil 2 1

Abbildung 1: Links: Gletscherkratzspuren in Gesteinen nahe dem Moiry-Gletscher in der Schweiz; Rechts: Wellenrippel in einem Gestein aus der Perm-Zeit, Nomgon, Mongolia. (Quelle: Mangouste48 – CC BY-SA 4.0 & Matt Affolter – CC BY-SA 3.0) 

Aber auch die innere Beschaffenheit von Sedimentgesteinen – etwa deren Farbe, Korngrößenverteilung, Sortierung und Zusammensetzung – bietet wichtige Hinweise auf vergangene Umwelt- und Klimabedingungen. So entstehen feinkörnige Ablagerungen oft durch äolische Ablagerung (Wind) in Trockenperioden, während grobsortierte Sedimente mit eingelagerten Klasten (feste Gesteinsbruchstücke) und organischem Material typisch für Überschwemmungen sind.

Im Inneren von Sedimenten – besonders in Schichten am Boden von Seen und Meeren – verbergen sich weitere natürliche Archive. Die Sedimente lagerten sich über Jahrtausende hinweg ab und konservierten dabei eine Vielzahl biologischer Spuren in Form von (Mikro-)Fossilien wie Foraminiferen, Schalen und Muscheln, Korallen, Pollen oder Blätter, die als Klimaproxys dienen können. Korallen beispielsweise, die (ähnlich wie Bäume) jährliche Wachstumsringe ausbilden, lassen anhand der Dicke und Zusammensetzung Rückschlüsse auf Wassertemperaturen, Nährstoffverfügbarkeit und sogar das Auftreten von Stürmen sowie El-Niño-Ereignisse ziehen. Kalkschalen enthalten Sauerstoff, dessen Isotopenverhältnis in diesem Fall von den Wassertemperaturen abhängig ist. Auch Spurenelemente wie Magnesium oder Strontium, die im Kalk enthalten sind, korrelieren mit den Wassertemperaturen. Aus pflanzlicher Sicht verraten uns die Form und Größe fossiler Blätter weitere Details. Große, glattrandige Blätter deuten auf ein warmes und feuchtes Klima hin – typisch für tropische Regenwälder. Im Gegensatz dazu weisen kleine, gezackte Blätter auf ein kühles, trockeneres Klima hin, wie man es in gemäßigten Breiten findet. Verschiedene eingeschlossene Pollen zeigen, welche Vegetation und damit welches Klima damals vorherrschend war. So konnte man zum Beispiel in der Eifel den abrupten Klimaumschwung von der Kaltzeit zur heutigen Warmzeit (vor rund 12.000 Jahren) anhand von Pollenanalysen aus Sedimenten der Meerfelder Maare nachweisen (Litt & Stebich 1999). Während der Jüngeren Dryas dominieren Pollen von kleinen Sträuchern und Gräsern, was auf kalttrockene, tundrenartige Bedingungen hinweist. Mit Beginn des Holozäns nimmt die Häufigkeit von Birke und Kiefer zu, gefolgt von wärmeliebenden Baumarten wie Hasel und Ulme, was den Wechsel zu milderen, waldreichen Verhältnissen zeigt.

Klimaproxys spiegeln aber oft nicht nur eine einzelne Größe wie Temperatur oder Niederschlag wider, sondern eine Kombination verschiedener Umweltfaktoren. Diese Zusammenhänge müssen wissenschaftlich entschlüsselt werden – dafür nutzen Wissenschaftler in der sogenannten Paläoklimatologie ausgeklügelte statistische Modelle. Ihre Aufgabe ist es außerdem, aus den Proxys quantitative Daten, also tatsächliche numerische Werte zu ermitteln. Da Proxys keine Klimavariablen direkt messen, ist eine Umrechnung erforderlich. Dieser Prozess heißt Kalibrierung und erfolgt meist auf zwei Arten: Die erste ist die zeitliche Kalibrierung. Hier wird eine Zeitspanne genutzt, in der sowohl Proxy-Daten als auch direkte Wetteraufzeichnungen vorliegen, also meist die letzten 100 Jahre. Mithilfe statistischer Methoden (z.B. Regressionsanalysen) wird ein mathematischer Zusammenhang hergestellt, der es erlaubt Proxy-Werte in Klimagrößen umzuwandeln. Nach mehrmaligen Validierungstests um Unsicherheiten zu verringern, kann diese Beziehung auf frühere Zeiten ohne Messdaten übertragen werden. Die Zweite wird als räumliche Kalibrierung bezeichnet. Dabei wird geprüft, ob das geografische Muster der Proxy-Daten mit bekannten räumlichen Klimamustern (z.B. Temperaturverteilungen) übereinstimmt. Sie stellt sicher, dass die Verteilung der Proxys sinnvoll ist und für großräumige Rekonstruktionen genutzt werden kann. Das bedeutet: Beide Kalibrierungsarten sind komplementär. Für zuverlässige Klimarekonstruktionen braucht es also gut kalibrierte Proxys, die sowohl zeitlich als auch räumlich stimmige Ergebnisse liefern. In manchen Fällen wird auch eine Proxy-zu-Proxy-Kalibrierung verwendet. Etwa, wenn keine direkten Messdaten, aber andere gut verstandene Proxys zur Verfügung stehen.

Wie so oft in der Wissenschaft gibt es auch hier einige Unsicherheiten. Denn Proxys reagieren nicht nur auf das Klima, sondern auch auf andere Umweltfaktoren – etwa menschlichen Einfluss, Vulkanausbrüche, tektonische Prozesse oder biologische Aktivitäten wie Bioturbation. Solche Einflüsse können die ursprünglichen Klimasignale verändern oder überlagern. Auch die Klimasensitivität eines Proxys, also wie stark er auf klimatische Veränderungen reagiert, kann sich im Lauf der Jahrhunderte verändern. So zeigen manche Baumringdaten nach 1950 keine klare Reaktion mehr auf ansteigende Temperaturen. Zudem beruhen Kalibrierungen meist auf relativ kurzen Zeiträumen und können daher durch äußere Einflüsse verfälscht sein. All das macht die Interpretation von Proxy-Daten anspruchsvoll – aber nicht unmöglich, weshalb Klimaproxys dennoch das zentrale Werkzeug der Paläoklimatologie bleiben. Sie liefern oft die längsten und verlässlichsten Klimaaufzeichnungen, da die Unsicherheiten minimiert werden können. Dafür kombinieren Forschende verschiedene Proxys im sogenannten Multi-Proxy-Ansatz. So lassen sich lokale Störeinflüsse ausgleichen und robustere Klimasignale gewinnen. Weltweite Proxy-Datenbanken sorgen für eine gute räumliche und zeitliche Abdeckung, während Klimamodelle helfen, die physikalischen Zusammenhänge besser zu verstehen und die Daten korrekt zu deuten. Verbesserte Datierungsmethoden und experimentelle Studien machen die Ergebnisse zusätzlich belastbar und schaffen so eine solide Grundlage für die Rekonstruktion der Klimageschichte, wie in Abbildung 2 gezeigt. 

SChlussel 2

Abbildung 2: Temperaturanomalien bis zum Jahr 0 im Vergleich zu 1961-1990. Farbige Linien stellen geglättete Ergebnisse für 7 verschiedene statistische Berechnungsmethoden dar, die auf globaler Sammlung von Paläoklimadaten (Proxys) basieren. Graue Schattierung zeigt den Unsicherheitsbereich, das 2,5 & 97,5 Perzentil ist durch schwarzgepunktete Linien gekennzeichnet. Die schwarze Kurve zeigt die instrumentellen Daten für 1850 – 2017.(Quelle: PAGES 2k Consortium 2019.) 

 

  1. Sc. Aaron Gentner
    Deutscher Wetterdienst
    Vorhersage- und Beratungszentrale
    Offenbach, den 18.06.2025
    Copyright (c) Deutscher Wetterdienst 

 

Der Schlüssel zur Klimageschichte: Klimaproxys – Teil 1

Unser Klimasystem besteht aus fünf eng verknüpften Bausteinen: Atmosphäre, Biosphäre, Hydrosphäre, Kryosphäre und Lithosphäre. Diese Komponenten beeinflussen sich ständig gegenseitig. Klimaänderungen hinterlassen dabei oft ihre Spuren in der belebten und unbelebten Umwelt, die zu jener Zeit mit dem Klima in Kontakt standen. Natürliche Elemente wie Gesteinsschichten, Eis oder Pflanzen können solche Veränderungen speichern und so als ″Zeitkapseln″ der Erdgeschichte dienen. In diesen natürlichen Archiven findet man physikalische, chemische oder biologische Merkmale, sogenannte Proxys, die indirekt Auskunft über vergangene Umweltbedingungen geben. Klima-Proxys sind somit wertvolle Stellvertreter, die Forschenden weltweit helfen, das Klima der Vergangenheit zu verstehen und zu rekonstruieren.

Klimaproxys lassen sich fast überall auf der Welt in vielfältigen Formen finden. Sie geben Einblicke in viele klimatische Veränderungen – von plötzlichen Ereignissen wie Vulkanaus-brüchen oder Überschwemmungen bis hin zu langfristigen Trends wie Erwärmung und Abkühlung, Trocken- und Feuchtperioden, Meeresspiegelanstiege oder Veränderungen des CO₂-Gehalts. Auch saisonale Phänomene wie Wirbelstürme oder Monsunzyklen können mit Proxys untersucht werden. Um die Vielfalt und wissenschaftliche Nutzung solcher Daten besser zu verstehen, stellt die US-amerikanische NOAA eine umfangreiche Datenbank mit über 10.000 Datensätzen bereit. Diese ist nach natürlichen Archiven geordnet und zeigt, in welchen Studien die Proxys verwendet wurden und woher diese stammen (siehe Abbildung 1). Hier geht’s zur Datenbank (siehe: Weitere Informationen zum Thema“). 

Der Schluessel zur Klimageschichte Klimaproxys – Teil 1 1

Abb 1: Eine Übersicht über die Herkunftsorte und natürliche Archive aus denen verschiedener Proxy-Datensätze stammen (z.B. Baumringe = grüne Dreiecke) 

 

Bevor es im zweiten Teil vor allem darum geht, wie aus Klimaproxys quantitative Daten gewonnen werden, sollen jetzt zunächst einmal wichtige natürliche Archive und darin enthaltene Proxys vorgestellt werden.

1. Historische Dokumente:

Den Anfang soll eine besonders greifbare Form des Klimaproxys machen: historische Dokumente. Zwar zählen sie nicht zu den natürlichen Archiven und haben die kürzeste temporale Abdeckung, doch liefern sie oft unglaublich detailreiche und datierte Informationen, die für die Klimarekonstruktion unerlässlich sind. Je nach Region reichen solche Aufzeichnungen von wenigen Jahrhunderten bis zu mehreren Jahrtausenden zurück, wie etwa in China oder Mesopotamien. Neben direkten meteorologischen Beobachtungen – wie sie in Chroniken, Zeitungen, Briefen, Wettertagebüchern, Schiffslogs sowie Eisgangs- und Flussnotizen auftauchen – enthalten auch viele andere Schriftquellen wertvolle Klimaerkenntnisse, obwohl sie ursprünglich mit administrativen, religiösen oder politischen Hintergründen ganz andere Zwecke beabsichtigten. So liefern Verwaltungsdokumente wie Steuerlisten, Ernteberichte oder Marktpreisaufzeichnungen wichtige Hinweise auf Dürren, Missernten oder Überschwemmungen. Auch Kirchenbücher oder Grabinschriften verraten mitunter ungewöhnliche Klimaereignisse, etwa wenn eine Hungersnot oder ein extremer Winter im Zusammenhang mit Todesfällen erwähnt wird. Berühmte Beispiele zeigen, wie mächtig diese Quellen sein können. Das ″Jahr ohne Sommer″ 1816, ausgelöst durch den Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora, ist durch zahlreiche Briefe, Tagebücher und Zeitungsberichte dokumentiert. Sie berichten von Schnee im Juni, Ernteausfällen und Hungersnöten quer durch Europa. Oder auch das Magdalenenhochwasser von 1342, eine der schlimmsten Überschwemmungen Mitteleuropas, ausgelöst durch eine Vb-Wetterlage. Das Ausmaß ist dank Stadtchroniken und Pegelnotizen noch heute gut nachvollziehbar. Der Main und andere Flüsse erreichten damals enorme Abflussmengen und ihre höchsten jemals beobachteten Wasserstände.

2. Baumringe:

Die Analyse von Baumringen (Dendrochronologie) ist eine der bekanntesten Methoden, um das Klima der letzten rund 10.000 Jahre zu erforschen. Jeder Baum legt jedes Jahr einen neuen Ring an, der aus einem hellen Abschnitt für das schnelle Wachstum im Frühling und einem dunkleren für das langsamere Wachstum im Spätsommer besteht. Die Breite dieser Jahresringe zeigt, wie gut der Baum in einem bestimmten Jahr gewachsen ist – und gibt damit Hinweise auf die klimatischen Bedingungen von denen das Wachstum natürlich abhängt. In warmen und feuchten Jahren wachsen die Ringe breit, während sie in kühlen oder trockenen Jahren schmaler ausfallen. So lassen sich also Rückschlüsse auf vergangene Temperatur- und Niederschlagsmuster ziehen.

3. Gletschereis:

Mit Eisbohrkernen aus Gletschern oder großen Eismassen kann man sogar noch weiter zurück in die Vergangenheit blicken. Der längste lückenlose Eisbohrkern stammte bisher vom Dome C in der Ostantarktis und reicht etwa 800.000 Jahre zurück. Erst im Januar 2025 wurde nun ein 2.800 Meter langer und bis 1,2 Millionen Jahre zurückreichender Eiskern erbohrt. Bis dieser ausgewertet ist, wird allerdings noch etwas Zeit vergehen. Das Klima der Vergangenheit lässt sich bei diesem Proxy vor allem über das Verhältnis von Sauerstoffisotopen in den Eisschichten rekonstruieren. Isotope sind verschiedene Varianten eines Elements, die sich in der Anzahl der Neutronen und somit Masse unterscheiden, chemisch aber sehr ähnlich sind. Besonders wichtig ist das Verhältnis von 18O zu 16O: Während wärmerer Zeiten ist 18O häufiger im Wasserdampf, in kalten Perioden dominiert 16O. Welche atmosphärischen Prozesse diese Verteilung auslösen, wird in einem älteren Thema des Tages sehr detailliert beschrieben, welches unter dem folgenden Link zu finden ist: Thema des Tages vom 11.11.2020. Gletschereis besteht aus vielen Schichten von zusammengepresstem Schnee, in denen winzige, alte Luftbläschen eingeschlossen sind, die genau diese Isotope eingefangen haben. Sie können analysiert werden, um Rückschlüsse auf vergangene Temperaturen zu ziehen. Eisbohrkerne liefern aber auch Hinweise auf besondere, kurzfristige Ereignisse, etwa große Vulkanausbrüche. Diese hinterlassen Spuren wie Staub, Asche oder erhöhte Sulfatwerte im Eis, die sich ebenfalls messen und datieren lassen.

An dieser Stelle soll vorerst einmal ein Schlussstrich gezogen werden. Im zweiten Teil dieses Themas, der voraussichtlich nächste Woche erscheint, widmen wir uns dem wohl wichtigsten Archiv und allem was in ihm stecken kann: den Sedimentgesteinen. Außerdem werfen wir einen genaueren Blick darauf, wie aus den Proxy-Daten konkrete numerische Werte für weitere Berechnungen gewonnen werden – und welche Unsicherheiten mit dieser Form der Vergangenheits-Rekonstruktion verbunden sind. Bis bald!

 

Aaron Gentner und M.Sc. (Meteorologe) Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 12.06.2025
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst