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Starkregen, Hagel und einzelne Tornados: Ein Rückblick auf letzten Mittwoch

Gut zu tun hatten unsere Warnmeteorologen am vergangenen Mittwoch. Überraschend war das jedoch nicht, denn die von den Wettermodellen prognostizierten Gewitterzutaten, lieferten bereits einige Zeit im Vorfeld Hinweise darauf, dass es ordentlich krachen kann. 

Deutschland lag an jenem Tag auf der Südflanke von Tief OLE, das von Schleswig-Holstein ostwärts zur Ostsee zog und sehr feuchte und instabil geschichtete Luft (starke Temperaturabnahme mit der Höhe) aus der Biskaya im Gepäck hatte. Diese Luftmasse konnte sich vor allem auf den Süden und die Mitte ausbreiten, während auf den Norden bereits OLEs Kaltfront übergegriffen hatte, die dort kühlere und trockenere Luft einströmen ließ. 

Bereits in der Nacht zum Mittwoch zogen im Westen aus Belgien schauerartige Regenfälle auf, die sich ostwärts in die Mitte ausweiteten und neben dem ein oder anderen Liter Regen auf den Quadratmeter auch einzelne Böen bis Sturmstärke mit sich brachten. Zum Beispiel meldete Aachen um 2 Uhr eine Böe von 76 km/h, Wuppertal um 3 Uhr 74 km/h. Ursache dafür war der kräftige Höhenwind, der durch die schauerartigen Verstärkungen lokal bis zum Boden heruntergemischt werden konnte. 

Während sich diese Regenfälle zunehmend in den Süden verlagerten und so die Gewitterentstehung dort hemmten, konnten sich vor allem über der breiten Mitte und anfangs auch im Nordosten ab dem frühen Nachmittag zahlreiche Gewitter entwickeln. Hier und da gingen diese mit Starkregen (häufig etwa 10 bis 20 l/qm in kurzer Zeit), stürmischen Böen und kleinkörnigem Hagel einher. Lokal kamen aber auch deutlich höhere Regenmengen zusammen. 

Starkregen Hagel und einzelne Tornados Ein Rueckblick auf letzten Mittwoch teil 1

24 stündige Niederschlagsmenge vom 28. bis 29.05.2025, 8 Uhr MESZ, ab 10 mm. Zahlen zeigen Messwerte, die Flächendarstellung steht für aus Radardaten abgeleitete Mengen. 

Durch die vorherrschenden Strömungsverhältnisse kam es teilweise dazu, dass Gewitterzellen immer wieder über denselben Ort zogen oder sich rückseitig neugebildet haben. Dieses Schicksal traf beispielsweise Worms am Abend als dort 43,7 l/qm innerhalb einer Stunde beziehungsweise 53 l/qm in zwei Stunden zusammenkamen. Von derselben Gewitterlinie betroffen war auch die Station Wilhelmsfeld in Nordbaden wo innerhalb weniger Stunden rund 80 l/qm vom Himmel stürzten. Ein weiterer Korridor mit hohen Regenmengen spannte sich zwischen Ostthüringen und Westsachsen auf. 

Starkregen Hagel und einzelne Tornados Ein Rueckblick auf letzten Mittwoch teil 2

24 stündige Niederschlagsmenge vom 28. bis 29.05.2025, 8 Uhr MESZ, ab 10 mm. Zahlen zeigen Messwerte, die Flächendarstellung steht für aus Radardaten abgeleitete Mengen. 

Nun gab es einen Bereich, der etwa vom Westen bis in die zentrale und südliche Mitte reichte, in dem zur feuchten und instabilen Luftmasse auch noch eine erhöhte Windscherung dazukam, sprich eine kräftige Zunahme der Windgeschwindigkeit mit der Höhe. Dadurch konnten sich die Gewitter dort organisieren, das heißt, ihr jeweiliger Auf- und Abwindbereich waren voneinander getrennt, wodurch die Zellen langlebiger und kräftiger wurden. Mit Hilfe der stark gegliederten Orographie im dortigen Mittelgebirgsraum war zudem auch ein gewisses Maß an Richtungsscherung vorhanden, das heißt die Windrichtung dreht mit der Höhe. Mehr zum Thema Windscherung finden Sie zum Beispiel im Thema des Tages vom 18.04.2025 (https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2025/4/18.html). 

Starkregen Hagel und einzelne Tornados Ein Rueckblick auf letzten Mittwoch teil 3

Foto des Tornados in Biebergemünd am 28.05.2025 (Quelle: Jörg Müller DWD) 

Alles in allem waren dadurch ausreichend gute Bedingungen geschaffen, dass sich vereinzelt sogar Tornados entwickeln konnten. Einer wurde im südosthessischen Biebergemünd kurz nach 15 Uhr gesichtet, der dort zum Teil schwere Schäden hinterließ. Ein weiterer Tornado wirbelte nur wenig weiter nordöstlich nahe Steinau an der Straße. Dieselbe Zelle brachte etwas später bei Schweinfurt wohl nochmals einen Tornado hervor. Zumindest liefert das vorhandene Bildmaterial starke Hinweise dafür, dass sich dort erneut einer gebildet hat. 

Auch wenn der heutige Freitag in Sachen Wetter recht ruhig verläuft, bleiben kräftige Gewitter ein Thema! Am morgigen Samstag drohen im Westen, am Sonntag dann in der Südost- und Osthälfte kräftige Gewitter mit lokalem Unwetterpotenzial. 

Dipl.-Met. Tobias Reinartz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 30.05.2025
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst 

 

Aufgaben der Vorhersage- und Beratungszentrale – Teil 2

Mediendienst:
Der Medienmeteorologe tritt am Morgen seinen Dienst an und ist dann bis in die Mittagsstunden einem relativ straffen Programm ausgesetzt. Zuerst muss der Wetterbericht fürs Deutschlandradio überarbeitet werden. Im Anschluss folgt der allgemeine Wetterbericht für Deutschland und ein erstes Posting auf den Plattformen der sozialen Medien. Dieses Posting sollte mit einem schön gestalteten und aussagekräftigen Bild garniert werden. Im weiteren Verlauf wird der Pressetext verfasst, der an verschiedene Medienanstalten verschickt wird. Dabei geht es darum, das Wetter möglichst anschaulich für die Bevölkerung zu beschreiben. Danach folgt die Kernaufgabe des Mediendienstes, nämlich die Erstellung eines Wetterclips beziehungsweise eines Unwetter- oder Hitzeclips. Diese Clips werden bei entsprechenden Wetterlagen auf YouTube, in der WarnWetter-App und auf der Homepage hochgeladen. Dafür wird mit einer Software ein Wetterfilm erzeugt, der dann im betriebseigenen TV-Studio vorgetragen und aufgenommen wird. Am Mittag und Nachmittag wird der Deutschlandwetterbericht fortlaufend aktualisiert und ein Thema des Tages verfasst. Außerdem gibt es bei Unwetterlagen einen extra Bericht für Medienanstalten. Des Weiteren müssen weitere Postings erzeugt und Kundenmails beantwortet werden. Ebenso kann den ganzen Tag über das Telefon klingeln, weil beispielsweise ein Radiosender ein Interview will oder eine Zeitung Informationen für einen Artikel braucht. Gelegentlich kommt auch ein Fernsehteam vorbei, um Aufnahmen zu machen. Der Mediendienst ist also sehr vielfältig und der Kundenkontakt ziemlich ausgeprägt. 

Warnproduktion:
Dieser Dienst ist äußerst facettenreich und es werden viele unterschiedliche Aufgaben bearbeitet. Am frühen Morgen steht ein hydrologischer Bericht für ganz Deutschland und im Speziellen nochmals für das Rheineinzugsgebiet an. Danach erstellt man im Bedarfsfall Grafiken für das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern (GMLZ) und die Deutsche Bahn (DB). Interessant für diese Kundengruppen sind vor allem großräumig zu erwartende Unwetterereignisse mit gewissem Schadenspotenzial. Daran anschließend nimmt der Meteorologe dann das weltweite Wetter in Betracht und dafür nutzt er zum Beispiel auch den Extreme Weather Index (EWI). Dieser Index dient zur Abschätzung von außergewöhnlichen Wetterereignissen weltweit und wird dazu genutzt, frühzeitig Unwetterereignisse zu erfassen. Diese Erkenntnisse werden dann entweder mündlich oder in Form eines Berichtes an das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum weitergeleitet, damit dort beispielsweise Hilfsaktionen koordiniert werden können. Im Warnproduktionsdienst werden weitere deutschlandinterne oder internationale Sonderaufgaben bearbeitet. Derzeit werden beispielsweise verschiedene Berichte zum aktuellen Wetter und die Windverhältnisse für die Ukraine erstellt. Auch für die international stationierte Bundeswehr wird Zuarbeit geleistet. Der Dienst ist somit sehr anspruchsvoll, da man sich in viele unterschiedliche Themenbereiche einarbeiten muss und sehr gute Geografiekenntnisse unbedingt erforderlich sind. 

Evaluierungs- und Analysedienst:
Dieser Dienst ist in zwei Blöcke aufgeteilt. Am Morgen und am frühen Nachmittag stehen die Bodenanalysekarten an. Es ist quasi eine Art „Malen nach Zahlen“ für den Bereich Europa und Nordatlantik. Neben der Positionierung von Hoch- und Tiefdruckgebieten werden auch Fronten sowie Isobaren in die Karte eingezeichnet. Nachdem dies früher alles noch mit Stift und Papier erfolgte, nutzt man mittlerweile ein grafisches Visualisierungstool.

Der zweite Part dieses Dienstes, der zwischen den Analysen und auch am Nachmittag gemacht wird, ist die Evaluierung. Dabei sollen Produkte auf Herz und Nieren geprüft und mögliche Fehler beziehungsweise Verbesserungsvorschläge dokumentiert werden. Das können Untersuchungen zu neu entwickelten Radarprodukten, neuen Wettermodellfeldern oder Weiterentwicklung von bestehenden Produkten sein. Des Weiteren dient dieser Dienst der Unterstützung des Guidancemeteorologen oder des Supervisors vor allem bei komplexen Warnlagen. Außerdem übernimmt der Meteorologe bei Ausfall der Außenstellen deren Arbeit, wie beispielsweise die Erstellung von Wetter- und Warnlageberichten sowie von akuten Warnungen. 

Nachtdienste:
Neben dem Supervisorennachtdienst gibt es noch zwei Nachtdienste, die nachts die Aufgaben der Außenstellen von Essen, Leipzig und Potsdam übernehmen. Neben der Erstellung der Guidance sind sie dann für akute Warnungen im Zuständigkeitsbereich der Außenstellen, für die Erstellung von Warnlage- und Wetterberichten, für die telefonische Beratung und für eine Reihe von Sonderaufgaben verantwortlich. 

Das heutige Thema des Tages und das Thema des Tages von vergangenem Samstag (https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2025/5/10.html) boten einen Überblick über die verschiedenen Schichten in der VBZ. Nicht weiter aufgeführt wurden eine Reihe von Sonderaufgaben, wie beispielsweise die Erstellung von Ausbreitungsrechnungen im Bedarfsfall und die Übernahme von Projektarbeiten, die einen immer größeren Raum im Dienstplan einnehmen. Die Arbeit in der VBZ ist also sehr spannend, anspruchsvoll und nicht langweilig, da man sich immer wieder mit neuen Aufgaben befassen und sich in neue Themengebiete einarbeiten muss. 

 

Dipl. Met. Marcel Schmid
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.05.2025
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst 

Vor 10 Jahren: Zweiter Tornadoausbruch im „Unwetter-Mai“ von 2015

Vergangene Woche wurde an dieser Stelle bereits über den Tornadoausbruch am 5. Mai 2015 im Nordosten Deutschlands berichtet, der sich in diesem Jahr zum zehnten Mal jährte. Diese Unwetterlage sollte aber erst der Startschuss eines denkwürdigen Unwetter-Monats sein. Nur eine Woche nach dem berüchtigten „Bützow-Tornado“ kam es am 12. und 13. Mai 2015 zur nächsten, folgenschweren Unwetterlage. Schwere Gewitter brachten neben schweren Sturmböen, Starkniederschlägen und großem Hagel auch wieder mehrere, starke Tornados, die für Verwüstungen sorgten. 

Vor 10 Jahren Zweiter Tornadoausbruch im 22Unwetter Mai22 von 2015 teil 1

Abbildung 1: DWD-Bodenanalyse vom 12. und 13. Mai 2015, 12 und 18 UTC. Quelle: DWD 

Wie schon bei der ersten Unwetterlage zu Beginn des Monats handelte es sich auch bei der zweiten am 12. und 13. Mai 2015 um eine hochenergiereiche und dynamische Gewitterlage. Den Gewittern stand nicht nur eine sehr warme, feuchte und instabile Luftmasse zur Verfügung, sondern auch viel Windscherung, also mit der Höhe rasch an Stärke gewinnende und in ihrer Richtung variierende Winde. Die DWD-Analyse vom 12. Mai (14 Uhr) verdeutlicht, wie Deutschland zwischen Tief BENEDIKT über dem Nordmeer und Hoch TINA über Südosteuropa in eine Südwestströmung gelangte, mit der feucht-warme Mittelmeerluft herangeführt werden konnte (Abb. 1, links). Zugleich griff aber auch die Kaltfront von BENEDIKT über, die einen markanten Luftmassenwechsel von Nordwesten her einleitete. Unmittelbar vor der Kaltfront konnte sich in der warmen Luft eine sog. Konvergenzlinie ausbilden, also ein schmaler Bereich zusammenströmender und folglich zum Aufsteigen gezwungener Luft. Die Konvergenzlinie konnte somit als Trigger für die Gewitterentstehung fungieren. Es bildete sich eine markante, mehrere 100 Kilometer lange Gewitterlinie aus (Abb. 2, rechts). Aufgrund der Windscherung konnten sich die Gewitter organisieren, was bedeutet, dass sie stärker und langlebiger wurden. Auch einige Superzellen, also stark rotierende Gewitterzellen, waren mit dabei. Diese brachten nicht nur großen Hagel bis 4 cm Durchmesser, sondern produzierten auch mindestens vier Tornados in Arfurt in Hessen, in Kirchgandern und Nohra in Thüringen sowie in Alten in Sachsen-Anhalt. Die Tornados wurden als IF0 bis IF1.5 mit Windgeschwindigkeiten von 90 bis 180 km/h klassifiziert. 

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Abbildung 2: Radarbilder vom 12. Mai 2015, 15 und 17 UTC, und beispielhafte DWD-Warnkarte während des Ereignisses. Unwetterwarnungen sind rot, die Warndreiecke markieren Bundesländer mit einer Unwettervorabinformation. Quelle: DWD 

Am 13. Mai flutete kühlere Meeresluft weite Teile Deutschlands, zudem brachte Hoch ULRIKE eine Wetterberuhigung. Im äußersten Süden allerdings hielt sich die feucht-warme und instabile Luft und wiederholt konnte sich auf der warmen Seite der Luftmassengrenze im Bereich einer Tiefdruckrinne eine Konvergenzlinie ausbilden (Abb. 1, rechts). Zudem war die Windscherung noch etwas stärker und die Bedingungen für Superzellen und Tornados noch etwas günstiger als am Vortag. Besonders herausragend war eine Superzelle, die am Abend vom Elsass her nach Südwestdeutschland und u. a. auch über Freiburg im Breisgau zog. Dort richtete Hagel bis zu 5 cm Durchmesser größere Schäden an. Sich weiter über den Schwarzwald südostwärts verlagernd produzierte die Zelle noch mindestens zwei Tornados der Stärke IF2 bis IF2.5 (220 bis 250 km/h) bei Lenzkirch und Bonndorf. Ein weiteres System über Bayrisch Schwaben wurde eingangs der Nacht „tornadisch“. Auf eine Strecke von 10 Kilometern zwischen Stettenhofen und Affing richtete der als IF3 (~290 km/h) eingestufte Tornado schwere Schäden an. Autos wurden versetzt, Wände und Mauern eingerissen und einige Gebäude unbewohnbar. 

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Alle Blitze und eine beispielhafte Warnkarte vom 13. Mai 2015. Unwetterwarnungen sind rot, extreme Unwetterwarnungen sind violett, die Warndreiecke markieren Bundesländer mit einer Unwettervorabinformation. Quelle: DWD 

Den Betroffenen wird diese Unwetterlage sicher noch in Erinnerung sein, aber vielleicht auch dem ein oder anderen „Wetterbegeisterten“ unter den Lesern. Allen anderen soll dieser Artikel vor Augen führen, welche Naturgewalten sich schon im Mai in Form von schweren Gewittern entfalten können. 

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Schäden nach dem Tornado in Affing am 13. Mai 2015. Quelle: DWD/Siemens 

Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 13.05.2025
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst 

 

10 Jahre Bützow – Ein Tornadoausbruch der in Erinnerung bleibt

Am 05.05.2015, also am Montag vor genau 10 Jahren, gab es im Nordosten Deutschlands ein Wettereignis, das die Kleinstadt Bützow in Mecklenburg-Vorpommern bundesweit bekannt machte und viele Bützower:innen wohl nicht vergessen haben. Innerhalb von Minuten hat ein Tornado große Schäden angerichtet und eine Schneise der Verwüstung in der Kleinstadt hinterlassen. 

10 Jahre Buetzow – Ein Tornadoausbruch der in Erinnerung bleibt teil 1

Das Foto zeigt den Tornado am frühen Abend über einem Waldstück etwa 15 km von Bützow entfernt. 

Zehnter Jahrestag 

Anlässlich des zehnten Jahrestags des Ereignisses gibt es in Bützow heute eine Gedenkveranstaltung und eine Sonderausstellung zu dem Ereignis ist geplant (siehe: https://www.nordkurier.de/regional/guestrow/hier-wuetete-ein-verheerender-tornado-ich-erinnere-mich-an-ein-bild-der-zerstoerung-3505478 oder https://www.nordkurier.de/regional/guestrow/5-mai-2015-der-tag-an-dem-ein-tornado-buetzow-verwuestete-2839448).
Man muss von Glück sprechen, dass es an diesem Tag keine Todesopfer und „nur“ 40 Verletzte zu beklagen gab. Der Schaden wird nach damaligem Wert auf mehr als 40 Millionen Euro geschätzt. 

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Das Bild zeigt die von Dachziegeln der Stiftskirche übersäte Straße in Bützow 2015 kurz nach dem Ereignis (links) und ein weiteres Bild aus diesem Jahr 2025 im Vergleich. 

Tornado Outbreak 

Auch wir möchten nochmal zurückschauen auf das Ereignis. Auch wenn der 05.05.2015 mit dem Namen Bützow verbunden ist, gab es an diesem Tag nicht nur diesen einen Tornado, sondern ganze sieben Stück. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem sogenannten „Tornado Outbreak“ (deutsch: Tornadoausbruch).
Bei einem Outbreak kommt es, gekoppelt an eine Gewitterlage, zu mindestens fünf Tornados, wobei einer der Tornados die Stärke IF2 erreichen muss (Internationale Fujita Skala: https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2024/4/11.html) und damit definitionsgemäß ein signifikanter Tornado ist. Solche Ereignisse mit multiplen Tornados sind eher selten. Zuletzt gab es dies am 20.05.2022 rund um den Tornado bei Paderborn, als acht Tornados registriert wurden (https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2022/5/30.html). 

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Die Grafik zeigt alle Unwettermeldungen in der europäischen Unwetterdatenbank (eswd.eu) in Norddeutschland. Zu sehen sind auch die sieben Tornados. Zudem wurden alle Tornados am 5. Mai aufgelistet. 

Der Tornadomodus von Gewittern 

Am 05.05.2015 konzentrierte sich die Tornadoaktivität auf Mecklenburg und alle Tornados traten innerhalb einer einzigen Stunde zwischen 18 und 19 Uhr MESZ auf.
Interessant ist, dass alle Tornados von nur zwei Gewitterzellen verursacht wurden. Dies ist ein Phänomen, das man tatsächlich recht häufig bei ausgeprägten Tornadolagen beobachten kann. Während manche Gewitterzellen bei ähnlichen Bedingungen keinen Tornado hervorbringen, können andere wiederholt Wirbel erzeugen. Diese Zellen befinden sich in einem „Modus der Tornadoproduktion“. Warum das so ist, wird weiterhin erforscht (siehe dazu auch (https://www.schweizerbart.de/papers/metz/detail/31/102440/Analysis_of_significant_tornado_events_in_Central_Europe_synoptic_situation_and_convective_development). 

Ablauf der Tornados 

Den ersten Tornado gab es um 18:05 Uhr MESZ in Neu Kaliß, dieser hatte eine Stärke von IF0 (um 90 km/h). Der erste signifikante Tornado wurde in Groß Laasch (südlich der Bützow-Zelle) beobachtet. Dieser wies eine Stärke von IF2.5 (um 250 km/h) auf. Um 18:48 Uhr MESZ war es dann soweit, die nördliche der beiden Zellen hatte schon dreimal einen Tornado hervorgebracht, ehe genau über Bützow ein Tornado der Stärke IF3 (um 290 km/h) registriert wurde. Eben jene Gewitterzelle brachte um 19:05 MESZ nochmal einen fünften Tornado in Woland hervor, der eine Stärke von IF1.5 (um 180 km/h) hatte. 

Wetterlage 

Schauen wir nochmal auf die Wetterlage. Am Morgen des 5. Mai 2015 erinnerte noch nichts an die bevorstehende Katastrophe. Der Himmel über Bützow war bedeckt und es regnete. Und auch um die Mittagszeit zog nochmal ein Regengebiet über die Kleinstadt. Nachfolgend lichteten sich die Wolken am Nachmittag und es wurde doch noch ein sonniger Frühlingstag mit Höchstwerten um 16 Grad. Der Regen gehörte zur Warmfront eines Tiefs bei den Britischen Inseln. Wie üblich gibt es bei Tiefdrucksystemen auch eine Kaltfront. Diese erreichte den Nordwesten Deutschlands am frühen Nachmittag. Eine Gewitterlinie zog von der Nordsee landeinwärts und kam im Laufe des Nachmittags über dem Norden rasch ostwärts voran. Es dauerte gerade einmal vier Stunden, bis die Gewitterlinie vom Emsland Mecklenburg erreicht hatte und sich die Wolken schlagartig verdunkelten. 

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In der Grafik sieht man den zeitlichen Ablauf der Passage der Kaltfront und der Superzelle analysiert anhand von Radarbildern. 

Vorgelagerte Superzellen 

Nun kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu. Im Vorfeld der eigentlichen Kaltfront haben sich noch zwei vorgelagerte Gewitter gebildet, zwei sogenannte Superzellen. Diese beiden vorgelagerten Superzellen standen dabei in Wechselwirkung mit der sich nähernden Kaltfront. Diese beiden Hauptprotagonisten waren letztendlich für die sieben Tornados verantwortlich. Die Kaltfront holte schließlich die vorgelagerten Zellen ein und integrierte sie in die Gewitterlinie. Damit war die Tornadogefahr gebannt, aber durch die Wechselwirkung produzierte die Linie noch mehrere heftige Böen auf ihrem Weg nach Osten. Eine davon traf den kleinen Flughafen Laage, wo eine Geschwindigkeit von 126 km/h gemessen wurde. 

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Die vier Bilder zeigen wesentliche Zutaten de Gewittervorhersage sowie das Gewürz Scherung, das für Superzellen essentiell ist. 

Zutatenmethode 

Die Gewitterlage 2015 war sehr klassisch. Um Gewitter vorherzusagen schauen wir Vorhersagemeteorologen uns verschiedene Zutaten an: Feuchtigkeit, Labilität und Hebung (https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/5/9.html). Damit ein einfaches Gewitter zu einer schadensträchtigen Superzelle heranwachsen kann, braucht es ein entscheidendes Gewürz – die Windscherung (https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/6/22.html). Am Tag des Bützow-Tornados passten alle Zutaten perfekt zusammen. Für Tornados kommt es insbesondere auf die Scherung im unteren Troposphärenbereich zwischen 0 und 1 km an und auch diese Werte waren ausgesprochen hoch. Da gleichzeitig auch noch die Wolkenuntergrenze ziemlich niedrig war (geringer als 1000 m über Grund), war alles perfekt aufbereitet und das Potential für Tornados stark erhöht (mehr zur Tornadopotentialvorhersage: https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/7/19.html). Die Tornados am 05 Mai 2015 kamen also nicht aus dem Nichts, sondern es war wie eine Lage aus dem Lehrbuch. 

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Die Grafik zeigt anhand von Radarbildern, wie die Superzelle in die Gewitterlinie (Kaltfront) eingebaut wurde. Im das sich daraus entwickelnde Bogenecho wurde nochmal Orkanböen in Laage gemessen. 

Zehn Jahre danach – der Fall bleibt in Erinnerung 

Mittlerweile erinnert kaum noch etwas an das Ereignis von vor zehn Jahren, vergessen wird diesen Tag aber wohl niemand. Auch unter Meteorologen fällt der Name Bützow regelmäßig, wenn es um das Thema „Starke Tornados in Deutschland“ geht. 

Dipl. Met. Marcus Beyer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 04.05.2025
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst 

 

Ein Rückblick auf die nordatlantische Hurrikansaison 2023

Erneut schließt sich ein weiteres Kapitel der alljährlich anfallenden Hurrikansaison und wir wagen einen kleinen Rückblick. Haben Sie etwas von dieser Saison medial mitbekommen? Wohl eher nicht, denn bezüglich medienträchtiger Landgänge war es in der Tat eine sehr zurückhaltende Saison.

Doch beginnen wir der Reihe nach. Was wurde vorhergesagt und was trat ein? Nehmen wir dazu die im August zuletzt aktualisierte Vorhersage der „National Oceanic and Atmospheric Administration, NOAA“ und stellen sie den real aufgetretenen Werten gegenüber:

NOAA (Vorhersage vom August) 1.6. bis 30.11. 2023
Akkumulierte Energie der Zyklone (ACE, Median) 105 – 200 % 145 – 148 % (berechnungsabhängig)
Benannte Systeme 14 – 21 20
Hurrikane 6 – 11 7
Major Hurrikane 2 – 5 3

Tabelle: Gegenüberstellung der Vorhersage durch die NOAA vom August 2023 mit den vorläufigen Daten dieser Hurrikansaison. Nähere Informationen zum ACE sind als Link zum Thema des Tages vom 23.09.2022 hinterlegt . Die tropischen Systeme werden benannt, sobald der Sturm Windgeschwindigkeiten von entweder mehr als 62 km/h (Tropensturm) oder 119 km/h (Hurrikan) erreicht. Ein „major“ Hurrikan wird ausgerufen, sobald der Wirbelsturm Windgeschwindigkeiten von mehr als 179 km/h im 1-minütigen Mittel aufweist.

Dem regelmäßigen Leser der Themen des Tages fällt nun vielleicht auf, dass diese Zahlen denen vom letzten Jahr sehr ähnlich sind, was zwar so auch sehr gut vorhergesagt wurde, jedoch auf jeden Fall hervorgehoben werden sollte. Der Grund dieser Betonung liegt in der zügigen Entwicklung einer positiven El Nino-Southern Oszillation, ENSO, was weitläufig auch unter dem Namen „El Nino“ bekannt ist. Solch eine Entwicklung sorgt grob zusammengefasst für mehr tropische Stürme im Ostpazifik dank wärmeren Wassers und geringer Windscherung sowie einer geringeren Anzahl im tropischen Nordatlantik durch stärkere Windscherung bzw. Passatwindphasen und einer allgemein höheren Stabilität der Troposphäre. Diese Beschreibung kann regional je nach Art des El Nino Ereignisses auch leicht abweichen. Anders ausgedrückt sorgt die Entwicklung eines El Nino stark vereinfacht gesagt für einen verstärkten subtropischen Rücken über dem Ostpazifik und einen Trog über dem Nordatlantik. Der Trog erhöht neben weiteren Faktoren dort dann auch die Windscherung, also die Änderung der Windgeschwindigkeit mit der Höhe. Dies wird im folgenden Bild der Geopotenzialabweichung in 200 hPa zwischen Juni und Dezember deutlich, die trotz der zeitlich sehr großen Zeitspanne/Glättung eine entsprechende Signatur aufwies.

DWD Ein Rueckblick auf die nordatlantische Hurrikansaison 2023

Doch wieso gingen die Vorhersager schon damals so aggressiv an die saisonale Vorhersage heran? Die große Unbekannte war die fast im gesamten tropischen Nordatlantik weiträumig und deutlich zu hohe Meeresoberflächentemperatur, die neben der weiterhin positiven „Atlantic Multi-Decadal Oscillation, (AMO)“ und dem raschen Wechsel nach 3 La Nina Jahren zu einem sich zügig aufbauenden El Nino sicherlich auch einen anthropogenen Abdruck enthielt. Das Resultat ist im folgenden Bild zu erkennen:

DWD Ein Rueckblick auf die nordatlantische Hurrikansaison 2023 1

Der gesamte Bereich für eine potenzielle Entwicklung tropischer Stürme war überdurchschnittlich, teils auch signifikant zu warm. Die Schwierigkeit bei der Erstellung der saisonalen Prognose bestand darin, abzuschätzen, welcher Parameter letztendlich die Oberhand behalten würde: der eher hemmende El Nino oder diese beachtliche positive Abweichung der Meeresoberflächentemperatur?

Das Resultat ist mittlerweile bekannt: eine über dem Durchschnitt liegende Saison, die bisher auf dem 4. Platz landet für die am meisten benannten Stürme während einer Saison. Für ein El Nino Ereignis wirklich beeindruckend und laut des NOAA Climate Prediction Centers das namenstechnisch aktivste El Nino Jahr seit Beginn der Beobachtungen.

Förderlich war sicherlich auch eine Verringerung der Windscherung in weiten Bereichen des Nordatlantiks.

DWD Ein Rueckblick auf die nordatlantische Hurrikansaison 2023 2

Vergleicht man hier die Minima der Windscherung mit der vorläufigen Kartendarstellung der Zugbahnen, erkennt man schön eine Häufung der Zugbahnen im Bereich zwischen 70 und 40 Grad West sowie 15 bis 35 Grad Nord, was sehr gut mit der scherungsarmen Zone überlappt (siehe schwarzer Kasten). Umso beachtlicher die fehlende Aktivität bzw. Intensität der Stürme in der Karibik und die überschaubaren Systeme im Golf von Mexiko – wiederum ein Abdruck des El Nino.

Von daher ist es nicht verwunderlich, dass diese Saison medial kaum Aufmerksamkeit erhielt, da sich ein Großteil der Aktivität fernab der Landmassen und Inseln über dem offenen Nordatlantik austobte. Mit dem Hurrikan IDALIA wurde in der Saison 2023 nur ein Landgang eines Hurrikan festgestellt (Kat. 3), während zwei weitere Systeme nur in abgeschwächter Form an Land gingen.

Was war sonst noch erwähnenswert an dieser Saison?
Sie begann sehr früh mit einem subtropischen System (also einem, das sowohl tropische als auch außertropische Eigenschaften aufwies). Dieses System war vom 16. zum 17. Januar vor der Nordostküste der USA aktiv und bahnte sich in der Folge seinen Weg nach Osten und später nach Norden.
Es wird auch eine Saison sein, wo die statistische Vorhersagegüte der Zugbahnvorhersage wenigstens bei einigen Systemen deutlich schlechter ausfiel als sonst.

DWD Ein Rueckblick auf die nordatlantische Hurrikansaison 2023 3

Mit ein Grund dafür waren teils sehr komplexe Zugbahnen, wie ein Looping bei Hurrikan MARGOT, abrupte Richtungsänderungen bei Hurrikan FRANKLIN oder ein Tropensturm PHILIPPE, der entgegen der Vorhersagen statt nach Norden immer weiter nach Westen wanderte und letztendlich den Kleinen Antillen heftige Niederschläge brachte.

Wenn schon der eigentlich gehemmte Nordatlantik so aktiv war, wie sah es da im östlichen Pazifik aus, der während eines El Nino ja zusätzlich begünstigt wird? Um diese Übersicht nicht zu überfrachten soll an dieser Stelle nur darauf hingewiesen werden, dass auch hier eine überdurchschnittliche Saison beobachtet wurde. Erwartungsgemäß fielen hier die Stürme jedoch deutlich intensiver / explosiver aus mit 10 Hurrikane, wobei 8 davon den Status eines „major“ Hurrikan erhielten. Der Hurrikan OTIS intensivierte sich direkt vor Landgang nahe der Metropole Acapulco, Mexiko um unglaubliche 175 km/h binnen 24h zu einem Kategorie 5 Sturm (die zweithöchste, jemals beobachtete Intensivierungsrate in dieser Region) und wurde vorläufig zum Rekordhalter eines Landgangs mit den höchsten Windgeschwindigkeiten an der Ostpazifikküste. Zudem gab es eine noch inoffizielle Böenmessung von 330 km/h bei Acapulco, die unter die top 10 Böen weltweit fallen würde und das nur wenige Wochen nach einer 342 km/h Böenmessung bei der Passage des Taifuns KOINU vor Taiwan. Tropensturm HILARY brachte dem Süden Kaliforniens eine Niederschlagsabweichung im August von teils mehr als 600% und so könnte man die Liste noch lange fortführen.

Erwähnenswert ist noch zum Schluss die Bilanz der Hurrikanjäger, die auch in diesem Jahr im Ostpazifik und Nordatlantik unterwegs waren: 93 Flüge, 990.5 Flugstunden und 928 Dropsonden (Sonden, die nach unten fallen und dabei wertvolle Wetterdaten übermitteln). Die hier genannten Daten entstammen einem Statement der 403rd Wing’s 53rd Weather Reconnaissance Squadron.

Welches Fazit kann man nun aber aus dieser Saison im Nordatlantik ziehen? Trotz eines sich aufbauenden El Ninos war die Saison äußerst aktiv, die Hauptaktivität spielte sich jedoch zumeist über dem offenen Nordatlantik ab und sorgte somit insgesamt für eine überschaubare Schadensbilanz.

Was sind die ersten Prognosen für die kommende Saison 2024? Sollten die aktuellen Abschätzungen der El Nino Abschwächung zum kommenden Sommer zutreffen, dann könnte neben weiteren günstigen Parametern eine äußerst aktive Saison 2024 bevorstehen.

Dipl. Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 25.12.2023
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst

 

Ein Zyklus, der das Auge tropischer Stürme mit der Zeit verändert

In einigen Themen des Tages der jüngeren Vergangenheit (Stichwortsuche: „Stadion-Effekt“) wurde besonders die Herangehensweise der Intensitätsabschätzung tropischer Stürme betrachtet. Dadurch geriet die Dynamik dieser Stürme etwas in den Hintergrund, weshalb wir uns heute mal etwas mehr diesem Thema widmen wollen. Dazu betrachten wir einen Zyklus, der immer wieder besonders bei kräftigen Tropenstürmen zu beobachten ist.

Tropenstürme, so zerstörerisch sie auch sein können, sind grundsätzlich recht anfällige, wenn nicht manchmal sogar fragile Gebilde, die auf atmosphärische Veränderungen in der Umgebung reagieren. Erhöht sich die Windscherung (Änderung der Windgeschwindigkeit und -richtung mit der Höhe), dann erfolgt nicht selten eine Abschwächungsphase. Wird eine trockenere Luftmasse zum Zentrum des Sturmes geführt, dann schwächelt die Konvektion und somit auch das gesamte System und natürlich muss auch eine nachhaltige (negative) Beeinflussung beim Kontakt mit einer Landmasse oder Insel erwähnt werden.

Doch selbst wenn all diese Bedingungen nicht gegeben sind und der Tropensturm in einer scherungsarmen und feuchten Umgebung über sehr warmes Meereswasser zieht, unterläuft das System trotzdem Intensitätsschwankungen. Diese werden durch innere dynamische Prozesse hervorgerufen. Dabei handelt es sich um sogenannte „eyewall replacement cycles“, oder auf Deutsch und etwas freier übersetzt: „ein oder mehrere Zyklen, die die bestehende Augenwand ersetzen“.

Die Augenwand ist ein Teil der Dynamik, die einen Tropensturm ausmacht. Dank eines sich immer weiter vertiefenden Kerndrucks des Systems etabliert sich ein sogenannter „inflow“, also eine Strömung mit warmer und feuchter Luft, die mehr oder weniger direkt ins Zentrum des Sturmes gerichtet ist. Diese Luftmasse ist labil geschichtet und somit bereit zum Aufsteigen. Das gelingt ihr in der Nähe zum Zentrum des Sturms, wo die Luftmasse zum Aufsteigen gezwungen wird und sich mächtige Schauer- und Gewitterwolken bilden. Direkt über dem Zentrum entwickelt sich eine Art Ausgleichsströmung, die sich durch kräftiges Absinken auszeichnet. Dank starker Abtrocknung bildet sich dadurch das typische wolkenarme oder gar wolkenfreie Auge aus. Hier ist der Wind kaum zu spüren, während dieser nur wenige Kilometer entfernt innerhalb der Augenwand mit Böenspitzen deutlich jenseits der Orkanschwelle tobt. Wer die Passage eines solchen Auges erlebt hat, der sieht an dessen Rand, dass die kräftigen Schauer und Gewitter drohend wie eine riesige Wand das Auge umrahmen, weshalb dieser Bereich auch als Augenwand (engl. eyewall) bezeichnet wird. Wer sich das mal bildlich anschauen möchte, kann das im  gerne machen.

Nun kommt es immer wieder vor, dass sich die zentrumsnahe Augenwand abschwächt und sich eine zweite, weiter vom Zentrum entfernte Augenwand entwickelt. Vermutungen, wie dieser Prozess abläuft, gibt es viele, doch bis heute ist dieser Prozess Gegenstand intensiver Forschung. Folgende Ansätze gibt es zu nennen:

Sollte der Augendurchmesser zu klein werden, dann verliert die Konvektion irgendwann an Struktur/Organisation und es bildet sich eine neue Augenwand aus.

Eine andere Option besagt, wenn die Windgeschwindigkeit zu hoch wird, kommt es irgendwann zu einem turbulenten Zusammenbruch des Windfeldes. Dieser Zusammenbruch schwächt wiederum die Augenwand ab. Eine Neubildung erfolgt dann in dem Bereich, wo das Windfeld nicht so turbulent ist, was in größerer Entfernung zum Zentrum des Sturms der Fall ist.

Die letzte Variante ist die, dass eine Zunahme der Konvektion außerhalb der inneren Augenwand so viel Feuchtigkeit und Energie benötigt, dass diese der ersten Augenwand fehlen. Diese Entwicklung führt dann letztendlich zum Zusammenbruch der inneren Augenwand.
Welche dieser Varianten letztendlich der Wahrheit entspricht oder ob es gar eine Mischung aus all diesen Varianten ist, wird sich in Zukunft mit weiteren Messkampagnen sicherlich noch zeigen.

Was sind denn die Folgen eines solchen Zyklus? Die erste Konsequenz ist ein Abschwächen des Tropensturms bzw. ein Ansteigen des Kerndrucks, da der Motor des Systems vorübergehend gestört wird. Wenn sich die Konvektion in Folge des Zyklus abschwächt, dann erfolgt auch ein geringerer Eintrag latenter Wärmeenergie (Link 1) und in der Folge kann sich ein Tropensturm um eine, manchmal auch um mehrere Kategorien auf der Saffir-Simpson Skala abschwächen. Für die leidgeplagte Bevölkerung, die im Weg eines solchen Tropensturms steht, ist das natürlich erstmal eine günstige Entwicklung. Weniger schön jedoch ist, dass sich das Windfeld bei solch einem Zyklus nicht selten dramatisch ausweitet, sodass z.B. das Risiko einer beträchtlichen Sturmflut deutlich zunehmen kann.

Doch schauen wir uns diesen Prozess mal an Hand von Bildern an:

DWD Ein Zyklus der das Auge tropischer Stuerme mit der Zeit veraendert

Im Satellitenbild vom 23.09.2018 erkennt man, dass der Taifun TRAMI ein sehr kleines und kompaktes Auge besitzt. Rund 24 h später hat sich das Erscheinungsbild des zukünftigen Supertaifuns grundlegend geändert. Der Augendurchmesser hat sich dramatisch vergrößert. TRAMI war eines der Systeme, die es geschafft haben, dass sich der „eyewall replacement cycle“ kaum auf die Intensität des Sturmes ausgewirkt hat. Allerdings erkennt man im rechten Bild, dass sich die Wolkenoberflächentemperatur etwas erwärmt hat (keine gelben, nur noch rote Farben), sodass wenigstens kurzfristig Auswirkungen in Form einer geringen Abschwächung und nachlassender Organisation beobachtet werden konnten. Letztendlich aber erreichte der Sturm noch am selben Tag den Status eines Supertaifuns. Die Gründe, wieso manche Zyklen langsamer als andere und mit variablen Intensitätsschwankungen ablaufen, sind übrigens noch nicht geklärt.

DWD Ein Zyklus der das Auge tropischer Stuerme mit der Zeit veraendert 1

Um durch die Wolken und auf das Windfeld von TRAMI zu schauen, benutzen wir ein Mikrowellenradar, das von einem (polarumlaufenden) Satelliten von oben auf den Sturm schaut. Auch hier erkennt man die dramatische Vergrößerung des Auges. Behält man die rote Farbe (Windgeschwindigkeiten von 30 m/s oder mehr) im Auge, dann erkennt man vom 25.09. zum 28.09. eine Aufweitung des Windfeldes (auch abseits der Tatsache, dass ein variabler Zoom verwendet wurde) – weitere Augenwandzyklen beeinflussten TRAMI also auch während dieser Zeit. Leider liegen für den 23. und 24. September keine Messdaten vor, denn es ist immer ein Glücksfall, wenn solch ein Sturm die vergleichsweise enge Spur eines Satelliten kreuzt.

DWD Ein Zyklus der das Auge tropischer Stuerme mit der Zeit veraendert 2

Als ein Glücksfall können die Ereignisse bezeichnet werden, wo so ein Zyklus vom (normalen) Radar aus verfolgt werden kann (was dann aber leider auch eine gewisse Nähe des Sturms zum Festland bedeutet). Dies geschah z.B. 2022 beim Hurrikan IAN, der über das westliche Kuba in Richtung Florida zog. In a) erkennt man eine dominante Augenwand, die jedoch wenig später in b) zunehmend von einer zweiten Augenwand umrahmt wurde. Das Auge weitete sich in der Folge in c) immer weiter auf und die zweite Augenwand entwickelte sich zur dominanten, während die erste regelrecht auseinanderbrach. Letztendlich erfolgte dann in der Folge in d) eine erneute Intensivierungsphase des Hurrikans direkt vor Landgang in Florida zu einem Kategorie 5 Sturm auf der fünfteiligen Intensitätsskala. Diesem Sturm fielen über 160 Menschen zum Opfer und der hier besprochene Zyklus der Augenwand sorgte im Vorhersagebetrieb für zahlreiche Probleme und Überraschungen mit Blick auf die finale Intensitätsabschätzung.

Werkzeuge zur Vorhersage der Zyklen gibt es mittlerweile genug, doch leider bringt einem das beste Werkzeug wenig, wenn der physikalische Ablauf, der dahintersteckt, bisher nur lückenhaft bekannt ist. Somit ergeben sich auch heutzutage immer wieder kritische Fälle, wenn z.B. wie bei Hurrikan IAN ein Tropensturm kurz vor Landgang steht und sich die Frage stellt, ob ein Augenwandzyklus für eine Abschwächung sorgen könnte, oder eben nicht. Dahingehend wird es sicherlich noch sehr viel Forschungs- und Modellierungsarbeit geben und vielleicht gelingt es irgendwann, diese Zyklen besser vorherzusagen. Was für den Moment jedoch für den Beobachter bleibt, ist aber die Faszination der Veränderlichkeit des Aussehens, die solche Zyklen bei kräftigen Tropenstürmen hervorrufen können.

Dipl. Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 21.10.2023
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