Wenn der “Snow Bowl” abgesagt ist – Historische Schneemengen im Bundesstaat New York

Vor beinah fünf Jahren, am 10. Dezember 2017, empfingen die Buffalo Bills die Indianapolis Colts in ihrem heimischen Highmark Stadium in Orchard Park, einem Örtchen knapp südlich von Buffalo. Das Spiel fand inmitten eines Schneesturmes statt, der durch den sogenannten Lake Effect ausgelöst wurde. Dabei fielen in Orchard Park insgesamt 42 cm (16.7 inches) Schnee, davon alleine 20 bis 23 cm (8-9 inches) während des über drei Stunden dauernden Spieles. Der starke Schneefall in Verbindung mit starken Winden machte die Übertragung und Kommentierung des Spieles aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse zu einer Herausforderung. Aber auch die Spieler auf dem Platz hatten mit den Bedingungen zu kämpfen. Die Hausherren entschieden schließlich nach mauer Punkteteilung erst in der Verlängerung die Partie für sich. Das Match ging unter dem Namen “Snow Bowl” (in Anlehnung an den Super Bowl) letztendlich in die Football-Annalen ein.

Ein neuerlicher “Snow Bowl” für den heutigen Sonntag wurde jedoch frühzeitig abgesagt, denn das Stadion in Orchard Park ist inzwischen von Schneemassen begraben. Die Liga entschied daher schon am Donnerstagabend, dass die Bills aus Sicherheitsgründen ihr heutiges Heimspiel gegen die Cleveland Browns in der 350 km westlich gelegenen Stadt Detroit im überdachten Stadion der Lions austragen müssen.

Ursache für die teils massiven Schneemengen im Bundesstaat New York ist ein seit Donnerstag anhaltendes und intensives “Lake Effect Snow” Event. Dieses brachte und bringt immer noch insbesondere in den östlichen Küstenregionen der Großen Seen in den Vereinigten Staaten und Kanada enorme Schneemassen, die inzwischen erste historische Marken geknackt haben. Besonders betroffen ist einmal mehr die Region rund um Buffalo am östlichen Ende des Eriesees sowie die Region rund um Watertown am Ontariosee. Bis zum gestrigen Samstag wurden knapp östlich von Watertown gut 180 cm (72.3 inches), in Orchard Park schon beinahe 2 Meter Schnee (77 inches) registriert. Noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen kam im Bundesstaat New York an einem bzw. zwei Tagen so viel Schnee zusammen. Und auch heute schneit es in den Regionen kräftig weiter. Dementsprechend gibt es dort starke Einschränkungen auf und neben den Verkehrswegen.

Die wichtigsten Fakten zum “Lake Effect Snow” wurden im gestrigen Thema des Tages bereits erörtert (siehe Link). Ein paar ergänzende Details zur vorherrschenden Wetterlage und Ergänzungen zum Lake Effect sollen heute noch dazu kommen.
Auslöser für die derzeitigen Schneefälle ist ein hartnäckiges Wettermuster, dass sich mit Blick auf höhere Luftschichten erkennen lässt. Über dem Osten des nordamerikanischen Kontinents hat sich seit der zweiten Wochenhälfte ein umfangreicher und weit nach Süden ausgreifender Trog eingenistet (siehe animierte Abbildung 1). Damit einhergehend wird aus dem Norden Kanadas anhaltend hochreichend arktische Polarluft über die offenen Gewässer der Großen Seen geführt. Erst im heutigen Tagesverlauf und in der Nacht zum Montag zieht der Trog allmählich ostwärts ab.

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Jetzt kennen wir den großskaligen, synoptischen Antrieb. Doch was macht die Schneefälle besonders intensiv? Aus dem Thema des Tages von gestern wissen wir, dass, je größer die Temperaturdifferenz (mindestens 13 Kelvin) zwischen den Wasseroberflächen und Höhen von rund 1500 m ist, umso mehr Energie steht für kräftige und langlebige Niederschlagsbänder zur Verfügung. Aktuell sind die Großen Seen mit +4 bis +10 Grad für die Jahreszeit noch ziemlich warm.

Im Gegensatz waren beispielhaft am gestrigen Samstag in 1500 m (850 hPa) -10 bis -15 Grad vorherrschend (Abbildung 2). Summa summarum sind demnach Differenzen von 14 bis 25 Kelvin vorherrschend, die besonders viel Energie für die Bildung von intensiven und teils gewittrig durchsetzten Schneeschauerstraßen bereitstellen. Dabei wurden häufig pro Stunde Neuschneeraten von 5 bis 10 cm (2-3 inches), in einigen Fällen auch 10 bis 15 cm (5 inches) oder darüber beobachtet.

DWD Wenn der Snow Bowl abgesagt ist – Historische Schneemengen im Bundesstaat New York

Eine weitere Schlüsselkomponente bei der Bestimmung von besonders betroffenen Küstengebieten beim “Lake Effect Snow” ist die Windrichtung. Aufgrund der geringen Breite der Niederschlagsbänder von meist nur wenigen Kilometern kann ein bestimmtes Gebiet im Schnee versinken, während in der unmittelbaren Nachbarschaft deutlich weniger oder gar kein Schnee fällt. Zudem ist der sogenannte “Fetch” entscheidend, der die Wirklänge des Windes über die offene Wasserfläche beschreibt. Je länger die Strecke ist, desto größer ist die Menge an Wärme und Feuchtigkeit, die dem See entnommen werden kann.

Der “Fetch” sollte typischerweise mindestens 100 km betragen, damit der Luft ausreichend Wärme und Feuchtigkeit für die Entwicklung der Schneeschauerstraßen zugeführt werden kann. Für den Eriesee und den Ontariosee ist der “Fetch” bei einem südwestlichen bis westlichen Wind besonders lang. Abbildung 3 zeigt eine Animation der Windrichtung und Böen in Kombination mit dem Bodendruck aus dem ICON 13- Modell für den gestrigen Samstag und heutigen Sonntag. In Verbindung mit einem Bodentrog drehte am gestrigen Samstag die Strömung vorübergehend auf Südwest, sodass die Schneeschauerstraßen am Eriesee etwas stärker in den Norden Buffalos und am Ontariosee zu den Niagarafällen gerichtet waren.

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Heute hingegen hat der zudem stürmische Wind wieder vermehrt auf West gedreht, sodass die östlichen und südöstlichen Küstenregionen bei Buffalo und Watertown wieder im Fokus der heftigsten Schneefälle liegen. Bis in die Nacht zum Montag werden strichweise noch einmal 30 bis 50 cm, lokal auch mehr erwartet.

M.Sc. (Meteorologe) Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 20.11.2022
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst

Buffalo (USA) versinkt gerade im Schnee…

In der vergangenen Nacht (zum 19.11.2022) gab es in Deutschland über der Mitte Deutschlands an einer Luftmassengrenze einige Zentimeter Neuschnee. Im Nordosten hingegen sorgt derweil das Tief “Uschi” für veritable Schneeschauer, die lokal ebenso für eine Schneedecke ausreichten. Auf der Insel Rügen wurde mit nordöstlichen Winden dagegen kalte Luft über das relativ warme Ostseewasser geführt mit dem Ergebnis, dass Tief “Uschi” in Kombination mit dem “Lake Effect Snow” für beachtliche 11 cm Neuschnee in Bergen auf Rügen gesorgt haben. Aber was steckt hinter dem Begriff “Lake Effect Snow“?

Der “Lake Effect Snow” ist ein Phänomen, das in der kalten Jahreszeit beim Überströmen von Kaltluft von größeren, relativ warmen Wasserflächen auftreten kann. Die kalte Luft wird beim Überströmen des wärmeren Wassers von unten erwärmt und angefeuchtet. Dadurch wird die Schichtung labiler, da die untere Atmosphäre mit Wärme und Feuchtigkeit von der Wasseroberfläche versorgt wird. Die erwärmten und mit zusätzlicher Feuchtigkeit angereicherten Luftpakete steigen auf, kühlen sich ab und kondensieren vorwiegend bereits in der unteren Atmosphäre. Daher kann es zu flächenmäßig eng begrenzten Niederschlagsbändern mit heftigen Schneefällen kommen. Aufgrund der geringen Breite der Niederschlagsbänder von oft nur wenigen Kilometern kann das betroffene Gebiet im Schnee versinken, während im näheren Umfeld mitunter deutlich weniger oder gar kein Schnee fällt. Verschiedene Studien zeigen, dass zwischen der Wasseroberflächentemperatur und der Temperatur in 1,5 km Höhe über Grund eine Differenz von mindestens 13 Kelvin bestehen muss, damit genügend Energie für die Bildung kräftiger und langlebiger Niederschlagsbänder zur Verfügung steht. Kräftige Schneeschauer können unter anderem dann entstehen, wenn die labile Luftmasse eine vertikale Mächtigkeit von mindestens ca. 2 km über Grund erreicht. Weitere Informationen können dem Wetterlexikon entnommen werden unter:

Der “Lake Effect Snow” ist im Bereich der Großen Seen (USA) besonders ausgeprägt, da hier auf der Rückseite eines Tiefs häufig sehr kalte, trockene Luft aus Kanada in den Norden bzw. Nordosten der USA einfließt und dort die “Großen Seen”, meist von West nach Ost, überströmt. Dann greift der oben beschriebene Prozess, wie auch gerade aktuell zu beobachten und weiter unten kurz beschrieben.

Der National Weather Service (NWS) sagt für Buffalo, Bundesstaat New York, tagelang heftige Schneefälle mit insgesamt bis zu 152 cm (60 inches) Schnee voraus. In der Stadt östlich des Eriesees wurde im Jahr 2001 bei einem dreitägigen heftigen Schneefall der laufende Rekord von 142 cm (56,1 inches) aufgestellt. Das aktuelle Schneeereignis könnte ihn allerdings noch übertreffen. In Oswego, New York, östlich des Ontariosees, gab es bereits am Morgen des 17. November Berichte über kräftige Schneegewitter. Die Bewohner dieser Region werden bis Sonntag, den 20. November 2022, mit dem Schneeereignis zu kämpfen haben. Ein geschulter Wetterbeobachter hat derweil am Freitagnachmittag (18.11.22) in Blasdell, etwa 9 Meilen (ca. 15 Kilometer) südlich von Buffalo, bereits 120 cm (48 inches) Schnee gemessen, berichtet der National Weather Service.

Es bleibt abzuwarten, wie die Messergebnisse am Ende aussehen. Zu verzeichnen sind allerdings bereits erhebliche Verkehrsbehinderungen und auch Todesopfer im Rahmen dieses lokalen Extremereignisses.

Dipl.-Met. Dr. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 19.11.2022
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Warmluft kontra Kaltluft – Luftmassengrenze bringt ersten Schnee mit Glätte. Höchste Zeit für Winterreifen!

Derzeit duellieren sich Tief REGINA bei den Britischen Inseln und Hoch ERIK über Skandinavien um die Vorherrschaft über Europa. Dabei schiebt ERIK auf der Südflanke kalte Luft aus Sibirien nach Mitteleuropa. Auf der anderen Seite transportiert REGINA milde Atlantikluft von Westen dagegen. Die Luftmassengrenze liegt dabei direkt über Deutschland. Zumindest vorübergehend scheint ERIK mit seiner Kaltluft stärker zu sein, da sich die Luftmassengrenze langsam vom Nordosten in die Mitte verlagert. Allerdings schafft es die Kaltluft nur etwa bis zur Linie Eifel-Bayerischer Wald. Wenn dann ab Sonntag Tief TATJANA mit Ihrem wellenden Frontenzug ins Spiel kommt, hat der aufgeriebene ERIK mit seiner Kaltluft keine Chance mehr. Demnach bleibt der Winter nur auf Stippvisite. Insgesamt wird aber nach dem Winterintermezzo das Temperaturniveau der vergangenen Tage nicht mehr erreicht und pendelt sich auf für die Jahreszeit normale Werte ein.

DWD Warmluft kontra Kaltluft Luftmassengrenze bringt ersten Schnee mit Glaette. Hoechste Zeit fuer Winterreifen

Bei dem Duell der Luftmassen spielen aber nicht nur die Temperaturen eine Rolle. Im Umfeld der Luftmassengrenze sind auch viele Phasen des Wassers vertreten. Demnach fällt auf der kalten Seite Schnee und auf der warmen Seite Regen, dazwischen oftmals auch eine Mischform. Bei nächtlichen Auflockerungen bzw. Aufklaren in der kalten Luft sinken die Temperaturen in den frostigen Bereich, sodass auch Eis in Form von gefrierender Nässe mitmischt.
Bei der Diskussion über das Akkumulieren des Schnees (Schneezuwachs, Schneehöhe) oder des nächtlichen Gefrierens gibt es aber einen gewichtigen Gegenspieler. Durch die milden Temperaturen der letzten Wochen ist der Boden noch sehr warm, sodass der der Schnee von unten rasch tauen wird. Eine nachhaltige Schneedecke ist demnach nur in den höheren Lagen oder im Nordosten zu erwarten. Kurzzeitig ist bei kräftigen Schneefällen aber auch eine geschlossene Schneedecke bis in tiefe Lagen in der Mitte des Landes möglich. Derzeit zeigen die Modelle vom Rothaargebirge über Nord- und Mittelhessen sowie Thüringen hinweg bis zur Oberpfalz und dem Bayerischen Wald die stärksten Schneefälle. Bei einem kalten Boden könnten im Hochwinter vom Hochsauerland bis zur Rhön sowie im Thüringer Wald durchaus 5 bis 15, gebietsweise bis 20 cm Schnee liegen bleiben. Aber nach den milden Wochen reicht es derzeit in tiefen Lagen höchstens kurzzeitig für eine Schneedecke. In mittleren Lagen könnten sich über wenige Stunden zumindest bis 3 cm anhäufen, in höheren Lagen und im Stau sind auch bis 10 cm möglich. Zudem kann es im Nordosten einwintern, da dort sogar tagsüber die Temperaturen nur wenig über dem Gefrierpunkt liegen und die Schneeschauer zumindest eine geringe Schneedecke hervorbringen können. Weitere Infos zum vorübergehenden Wintereinbruch können auch dem Thema des Tages vom gestrigen Donnerstag, 17.11.22 entnommen werden.

DWD Warmluft kontra Kaltluft Luftmassengrenze bringt ersten Schnee mit Glaette. Hoechste Zeit fuer Winterreifen

Insgesamt ist es also höchste Zeit für Winterreifen. Die viel zu milden Temperaturen haben die O bis O-Regel etwas vernebelt. Die meisten Kraftfahrzeughalter verzichteten wegen der wenig winterlichen Witterung der letzten Wochen bisher auf einen Reifentausch. Doch wie schnell der Winter mal zuschlagen kann, wird nun deutlich. Sollte es bei Schnee oder Glätte zu Unfällen durch Autos mit Sommerreifen kommen, so setzen die Autofahrer neben ihrem Leben auch ihren Versicherungsschutz teilweise oder sogar ganz aufs Spiel. Die Kaskoversicherung kann mit dem Verweis auf grob fahrlässiges Verhalten einen Teil der Leistung verweigern. Wenn ein Unfall auf falsch aufgezogene Reifen zurückzuführen ist, nimmt die Kfz-Haftpflichtversicherung den Fahrer in Mithaftung.
Autoreifen sind das Bindeglied zwischen Fahrzeug und Fahrbahn. Sie beeinflussen maßgeblich das Fahrverhalten eines Fahrzeugs. Reifen werden insbesondere auf die Beschaffenheit des Untergrundes, die Temperatur und die Belastung ausgelegt. In Mitteleuropa fahren Autos meist auf asphaltierten Straßen mit einer Oberflächentemperatur zwischen -15 °C und +60 °C. “Sommer”-Gummimischungen verhärten bereits bei niedrigen Plusgraden, wodurch sich die Haftung auf der Straße spürbar reduziert. Winterreifen bleiben in diesem Temperaturbereich weich und verfügen über ein spezielles Lamellen-Profil, das auf Schnee und Eis besonders gut greift – also bei Witterungsbedingungen, die überall in Deutschland und auch durchaus schon um den Gefrierpunkt herum anzutreffen seien, erklärte der ADAC .

Dipl.-Met. Lars Kirchhübel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 18.11.2022
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Winter light

Der heutige Donnerstag ist in den meisten Regionen Deutschlands ein Tag zum Vergessen: viele Wolken und nass. Im Nordosten lässt sich die Sonne immerhin zeitweise noch blicken und verhindert den Blues.

Am morgigen Freitag ändert sich an der Bewölkungslage wenig, es bleibt in den meisten Gegenden Deutschlands bedeckt, nur im äußersten Nordosten kommt die Sonne gebietsweise länger zum Vorschein. Dort ist es auch meist trocken, sonst fällt immer wieder Regen. Der fällt länger andauernd und mit spürbarer Intensität an einer Luftmassengrenze, die die einströmende kalte Luft im Nordosten von milder Luft im Südwesten trennt. Und wie das mit kalter Luft in den letzten Wochen des Jahres so ist, sie sorgt für Schneefall und Schneeregen. Und so fällt der Regen an der sich in den Vormittagsstunden etwa von Sylt bis in die Lausitz erstreckenden Luftmassengrenze allmählich als Schnee. Aber keine Sorge, der Schnee bleibt voraussichtlich noch nicht liegen, denn die Böden sind noch verhältnismäßig “warm”.

Im Tagesverlauf verlagert sich die Luftmassengrenze etwas südwestwärts und nimmt Regen und Schnee mit. Zum Abend liegt sie aller Voraussicht nach etwa auf einer Linie Ostfriesland – Erzgebirge. Nordöstlich davon strömt auf der Druckfläche um 850 Hektopascal (etwa in 1400 Metern Höhe) -5 bis -8 Grad kalte Luft ein.

DWD Winter light

Das lässt die Lufttemperatur in 2 Metern Höhe in der Nacht zum Samstag auf -1 bis -6 Grad sinken. Nur direkt an der Ostsee hält die noch etwa 10 Grad warme Ostsee den Frost zurück. Entsprechend der kalten Luft fällt von Ostwestfalen über Nordhessen und Thüringen bis ins Erzgebirge und nach Oberfranken Schnee. Bis zum Morgen können sich 5 bis 8 Zentimeter auf Wiesen und Feldern akkumulieren. Auf den Straßen fallen die Schneehöhen sicher geringer aus, denn wir haben noch einen positiven Wärmestrom. Das bedeutet, dass die sich in den oberen Bodenschichten befindende Wärme den fallenden Schnee wegtauen wird.

DWD Winter light 1

Nach der frostigen Nacht und dem weiteren Zustrom kalter Luftmassen aus Osten droht am Samstag einigen Orten zwischen Thüringer Wald und Neiße Dauerfrost. Die Höchsttemperatur liegt also unter null Grad. Da es sich tags nur wenig erwärmt, ist es nicht verwunderlich, dass die Nacht zum Sonntag in der Nordosthälfte teils richtig kalt wird. Von der Lüneburger Heide bis in die Oberlausitz sinkt die Temperatur auf -5 bis -7 Grad. In den Tälern und Senken von Harz und Erzgebirge sind auch tiefere Tiefstwerte denkbar. Auch sonst ist es nordöstlich einer Linie Münsterland – Bayerischer Wald frostig. Südwestlich davon liegen die Tiefstwerte meist zwischen -1 und +3 Grad, auf den Schwarzwaldhöhen und in den Alpen ist es etwas kälter.

DWD Winter light 2

In puncto Niederschlag lässt sich für den Samstag festhalten: Die Luftmassengrenze liegt nach derzeitigem Kenntnisstand auf Höhe Niederrhein – südliches Thüringen – Oberfranken und mäandriert nur wenig nord- und südwärts. Erst in der Nacht zum Sonntag kommt etwas Bewegung in die Lage, allerdings sind da die Modelle noch unterschiedlicher Meinung. Nach ECMWF ist eine Verlagerung südwärts bis auf die Linie Südeifel – Mittelfranken denkbar. ICON und GFS sehen eher eine Wölbung der Zone über der Mitte Deutschlands nordwärts über das Rothaargebirge, Mittelhessen, Thüringen bis nach Mittelsachsen. Weiter westlich und östlich würde dabei der Niederschlag signifikant abnehmen. Das englische Modell von MetOffice liegt übrigens zwischen den beiden beschriebenen Szenarien.

Fazit: Nach dem deutlich zu warmen Oktober und einem ungewöhnlich milden Start in den November springen wir in der Nordosthälfte des Landes kurz in den Winter. Das aber dafür gewaltig, teils mit Dauerfrost und gebietsweise mit Schneefall. Kurz deshalb, weil in der neuen Woche die mildere Luft aus Südwesten offenbar wieder in den Nordosten vordringen und die kalte Luft somit verdrängen kann. Die Schneemengen sind insgesamt eher gering. Für eine kleine Rutschpartie an Hängen der zentralen und östlichen Mittelgebirge sollte es aber reichen.

Apropos Rutschpartie: Wer jetzt noch auf Sommerreifen unterwegs ist, gefährdet nicht nur sich, sondern auch andere. Denn auch wenn der Schnee auf der Straße oft nicht oder nicht lang liegen bleibt, so kann es durchaus glatt sein. Und bei der früh einsetzenden Dämmerung und generell bei Dunkelheit ist nicht jede Glättegefahr sofort sichtbar.

Dipl. Met. Jacqueline Kernn
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 17.11.2022
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Wasser – wichtig und spannend zugleich – Teil 5

Im fünften und letzten Teil der Reihe “Wasser – wichtig und spannend zugleich” schauen wir heute noch einmal auf einen Teilbereich des Wasserkreislaufs, der für die Arbeit von uns Meteorologen eine besondere Bedeutung hat: die Atmosphäre.

Der grundlegende Motor für die Prozesse in der Atmosphäre ist die Sonne, die Land und Ozeane unterschiedlich erwärmt und für die Verdunstung des Wassers sorgt, wodurch sich Wolken bilden. Die Schwerkraft führt schließlich zum Ausfallen angewachsener Wassertröpfchen. Ohne das Wasser gäbe es keine Wolken, keinen Niederschlag, also folglich auch kein Wettergeschehen auf der Erde.

Der größte Teil des verdunsteten Wassers stammt aus den riesigen Ozeanen, wohin dieses später weitgehend wieder als Niederschlag zurückfällt. Netto wird aber auch ein kleiner Teil des verdunsteten Meerwassers über Land transportiert und dort als Niederschlag ausgefällt. Insgesamt macht dies rund 35 Prozent des über Land fallenden Niederschlages aus.

Das Wasservolumen der Atmosphäre umfasst rund 12.900 Kubikkilometer, was lediglich 0,0009 Prozent des auf der Erde vorhandenen Wassers entspricht. Der Durchsatz an Wasser in der Atmosphäre ist mit rund 500.000 Kubikkilometern pro Jahr allerdings deutlich größer. In der Folge lässt sich leicht berechnen, dass das Wasser der Atmosphäre jedes Jahr rund 39-mal komplett ausgetauscht wird, also etwa alle 9 Tage. Dies hat beispielsweise auch Einfluss auf biochemische Kreisläufe. Mit den Niederschlägen werden unter anderem Gase und Aerosolpartikel ausgewaschen, die Atmosphäre reinigt sich selbstständig

DWD Wasser wichtig und spannend zugleich Teil 5

Der größte Teil des atmosphärischen Wassers liegt in gasförmiger Form, also als Wasserdampf vor. Nur etwa 0,3 Prozent davon ist in flüssiger oder fester Form in Wolken gebunden. Allerdings ist die Verteilung rund um den Globus sehr unterschiedlich. Wärmere Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen als kalte. So kann ein Kubikmeter Luft bei 10 Grad 9 Gramm Wasser aufnehmen, die gleiche Menge Luft schafft bei 30 Grad schon etwa 30 Gramm. So ist es auch wenig verwunderlich, dass auch die Atmosphäre rund um den Äquator mehr Wasserdampf enthält als beispielsweise an den eisigen Polkappen – vorausgesetzt dieser steht auch zum Verdunsten zur Verfügung. In sehr trockenen Regionen der Erde kann der Wasserdampfgehalt trotz hoher Temperaturen gering sein. Auch in der Vertikalen ist die Verteilung des Wasserdampfes sehr unterschiedlich. Der größte Anteil befindet sich in den bodennahen Schichten der Troposphäre unterhalb von 1,5 Kilometer. In der Schicht oberhalb der Troposphäre, der sogenannten Stratosphäre, befinden sich nur noch 1 Prozent des Wasserdampfes.

Wasserdampf ist übrigens das wichtigste natürliche Treibhausgas, da er entscheidend die Strahlungsbilanz und somit auch das Klima modifiziert. Zum einen wird die von der Erde ausgehende langwellige Wärmestrahlung absorbiert und wieder in Richtung Erdoberfläche abgegeben, ein die Erdoberfläche erwärmender Effekt. Umgekehrt sorgen Wolken (mit Ausnahme hoher Wolken) wiederum für eine erhöhte Reflexion der einfallenden kurzwelligen (solaren) Strahlung in den Weltraum, wodurch die Erdoberfläche gekühlt wird. Wie sich die verschiedenen Prozesse aber zusammengenommen auf das Klima auswirken, wird aktuell in der Wissenschaft noch stark diskutiert. Bei den anthropogenen (menschengemachten) Treibhausgasen spielt der Wasserdampf keine Rolle.

Auch der Energiehaushalt und folglich die Dynamik der Atmosphäre werden insbesondere bei den Phasenumwandlungen erheblich beeinflusst. So wird beim Übergang von Wasserdampf zu Wasser (Kondensation) latente Wärme frei. Soll dieses Wasser schließlich wieder verdampft werden (Verdunstung), wird hierfür entsprechend Wärmeenergie benötigt.

Es gäbe noch so viele verschiedene faszinierende Phänomene in der Atmosphäre, an deren Entstehung Wasserdampf beteiligt ist. Diese aber hier aufzuzählen, würde den Rahmen des Tagesthemas sprengen. Falls Sie jedoch neugierig geworden sind, stöbern Sie gerne im Themen-des-Tages-Archiv . Dort werden Sie mit Sicherheit fündig.

MSc.-Met Sebastian Schappert (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 16.11.2022
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Duell der Druckgebilde – Winter ante portas?

Es kommt deutlich Bewegung in die Wetterküche über Mitteleuropa. Die beständigen Hochdrucklagen der vergangenen Wochen sind nun zunehmend Geschichte und es bahnt sich ein wechselhafter Witterungsabschnitt an. Die vorherrschenden Protagonisten sind Hoch ERIK über Skandinavien und die Tiefdruckgebiete EX-NICOLE und REGINA, die sich auf dem Ostatlantik tummeln. EX-NICOLE ist dabei aus dem Hurrikan NICOLE, der vor einigen Tagen über den Osten der USA zog, hervorgegangen. Während die Tiefdruckgebiete versuchen milde Meeresluft heranzuführen, hält ERIK mit kalter Festlandsluft dagegen. Die Folge ist ein sich ausbildender Temperaturkontrast genau über Deutschland. Einem milderen Südwesten und Westen steht also im Verlauf dieser Woche ein kälterer Osten und Nordosten gegenüber.

DWD Duell der Druckgebilde Winter ante portas

Heute merkt man von den Kontrasten noch nicht allzu viel. Verbreitet werden 10 bis 17 Grad erreicht und dazu kann es im Südwesten bei dichter Bewölkung vereinzelt etwas regnen, während in der Osthälfte die Sonne öfters zum Zug kommt und es trocken bleibt. In der Nacht zum Mittwoch erreicht den Westen ein Regengebiet und verlagert sich bis Mittwochmittag in den Osten des Landes. Es kommt dann aber nicht weiter ostwärts voran, da das Hochdruckgebiet dagegenhält. Damit bleibt es in etwa von der Lübecker Bucht bis zur Lausitz trocken. Es fließt dort jedoch schon kühlere Festlandsluft ein und die Höchstwerte verharren im einstelligen Bereich. Auch im Westen und Südwesten trocknet es ab und die Sonne findet ein paar Lücken. Dabei werden jedoch sehr milde 11 bis 16 Grad erreicht. Der Wind legt vor allem im Küstenumfeld zu und er bläst stürmisch aus Südost.

Am Donnerstag regnet es ebenfalls gebietsweise. Im Westen und Südwesten kann sogar das eine oder andere kurze Gewitter am Nachmittag nicht ausgeschlossen werden. Die Sonne nimmt eher eine Nebenrolle ein und zeigt sich allenfalls in der Südwesthälfte hier und da. Die Temperaturmaxima liegen dann bei sehr milden 12 bis 16 Grad, in der Ortenau sind ungewöhnlich milde 18 Grad möglich. In der Nordosthälfte werden nur noch maximal einstellige Höchstwerte erreicht. Spürbar kälter wird es mit höchstens 4 bis 6 Grad bereits von Vorpommern bis zur Uckermark. Im Küstenumfeld, teils auch im angrenzenden Binnenland und auf den Bergen weht der Ost- bis Südostwind stürmisch.

Am Freitag und dem kommenden Wochenende wird es dann richtig spannend beim Wetter, denn im Nordosten klopft der Winter an die Tür. Eventuell tanzen dort die ersten Schneeflocken vom Himmel. Wie viel Schnee tatsächlich bis Sonntagabend fällt, muss derzeit noch abgewartet werden. Lokal sind jedoch wenige Zentimeter nasser Schnee von Schleswig-Holstein bis nach Südostbrandenburg möglich. Bei nur wenig über null Grad tagsüber und Frost in der Nacht muss spätestens dann an die Winterreifen gedacht werden! Weiter im Westen und Südwesten gehen die Temperaturen zwar auch zurück, mit 7 bis 12 Grad bleibt es aber tendenziell zu mild.

Schön zu erkennen ist der Temperaturverlauf in der nachfolgenden Grafik. Exemplarisch wurden drei deutsche Städte ausgewählt; einmal im Nordosten, einmal in der Mitte und einmal im Südwesten.

DWD Duell der Druckgebilde Winter ante portas 1

Während in Freiburg am kommenden Wochenende noch knapp 10 Grad erreicht werden, pendeln die Höchstwerte im Raum Berlin nur noch um den Gefrierpunkt. In Erfurt sitzt man etwas zwischen den Stühlen. Nicht wirklich mild, aber auch nicht wirklich kalt.

Zum Start in die neue Woche bleibt das Nordost-Südwesttemperaturgefälle erhalten. Ein landesweiter Wintereinbruch deutet sich nicht an.

Dipl.-Met. Marcel Schmid
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 15.11.2022
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Ein Nachmittag im November

Es ist Anfang November und man darf nach dem außergewöhnlich warmen Oktober auch weiterhin sehr milde Novembertage genießen bzw. sich über diese Novemberwärme wundern. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass sich zwischen den hektischen Alltagsplanungen am Nachmittag noch ein bisschen Zeit an der frischen Luft ausging. Es war Samstag, der 5. November, ein freundlicher und mit Höchstwerten von 9 bis 12 Grad über der Mitte und dem Norden Deutschlands erneut ein angenehm milder Herbsttag.

DWD Ein Nachmittag im November

Der erste Blickfang beim Verlassen des Hauses waren unzählige wellenförmige Wolkenerscheinungen, die den Himmel verzierten. Die Wellen liefen in teils sehr unterschiedliche Richtungen und erstreckten sich über den gesamten Himmel. Dabei handelte es sich bei dieser wellenförmigen Wolkenstruktur um sogenannte „Gravitationswellen“. Diese Wellen kann man sich vereinfach so vorstellen, wie wenn man einen Stein in einen Teich wirft und dabei Wellen erzeugt werden. In der Meteorologie kann der Stein z.B. eine Gewitterwolke oder aber die Orografie sein. Dabei steigt die Luft bei der Passage einer solchen Welle erst auf und dann ab. Dabei kondensiert die Luft beim Aufsteigen, es bilde sich Wolken und der Beobachter kann diese nun entstandenen Wellenstraßen bewundern.
Bild 1 wurde im Spessart und somit im Umfeld der zentralen Mittelgebirge aufgenommen, sodass als erster Grund für die Auslöse der Wellen die Orographie in den Sinn kam (sogenannte „interne Gravitationswellen“).
Für sogenannte gefangene Leewellen (engl. trapped lee waves) müsste die Windgeschwindigkeit über den Bergkuppen rasch zunehmen mit einer gleichzeitigen Abnahme der Stabilität (vorübergehende Abnahme der Temperatur mit der Höhe). Radiosondendaten aus der Umgebung (hier nicht gezeigt) unterstützen diese Theorie jedoch nicht.
Somit könnte es sich in diesem Fall um vertikal wandernde Leewellen handeln, die entstehen, wenn die Stabilität mit der Höhe zunimmt (die Temperatur nimmt mit der Höhe vorübergehend zu). Gleichzeitig kommt es zu keiner signifikanten Änderung der Windgeschwindigkeit mit der Höhe. Diese Bedingungen waren an diesem Tag in der Tat vorhanden.

Der kleine Haken daran ist, dass diese Wellen kaum eine Verlagerung stromab der Gebirge aufweisen (Hauptfluss der Wellenenergie ist in die Vertikale und weniger in die Horizontale gerichtet). In diesem Bild kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass durch die orange hervorgehobenen Wellen diese Wellendynamik zu erkennen war, da auch deren Ausrichtung in etwa parallel zur Orografie verlief.

Schaut man sich nun die Höhe aller Wolken näher an und zieht örtliche LIDARs zu Rate, dann erkennt man, dass im Verlauf des Nachmittags nach regionalem Abbau einer Inversion in rund 2km über Grund eine weitere Wolkenschicht in rund 6 bis 7 km Höhe von Westen aufzog (hier nicht gezeigt). Wieso war das von Interesse? An diesem Samstag schob sich von Westen vorderseitig eines Höhenkeils ein Band mit sehr hohen Windgeschwindigkeiten in großer Höhe (der sogenannte „jet stream“) nach Deutschland und sorgte ab 6 bis 7 km Höhe für eine dramatische Windzunahme mit der Höhe. In dem Bereich nahm ein schwacher Westwind mit der Höhe rasch auf mehr als 150 km/h aus Nord zu. Der Jet schwächte ich im Verlauf des Nachmittags ab und erfasste zunehmend auch tiefere Schichten (siehe Bild 2 und Bild 3).

DWD Ein Nachmittag im November 1

DWD Ein Nachmittag im November 2

Dabei sind in diesem Fall die durch Windscherung hervorgerufenen Gravitationswellen von Interesse, die häufig im Umfeld eines Jets entstehen und im Satellitenbild durch eine wellenförmige Ausbreitung im Cirrusniveau zu erkennen sind (sogenannte „transversale Wolkenbänder“, also Bänder, die senkrecht zur vorherrschenden Windrichtung stehen). Der dafür notwendige Wendepunkt wurde im Bild 2 durch einen Stern markiert. In der Tat kann man diese Struktur in hochaufgelösten Satellitenbildern erkennen (hier nicht gezeigt), wenngleich die Abschwächung des Jets mit der Zeit auch diese Strukturen allmählich auflöste (im Bild 1 wurden diese Wellen grün hervorgehoben). Da diese Bewölkung unseren Standort ab 15 Uhr erfasste kann somit eine Überlagerung verschiedener Schwerewellen mit unterschiedlichen Gründen für deren Entwicklung angenommen werden.
Nach dieser Erkenntnis war erstmal ein Kaffee nötig um die Gedanken wieder zu ordnen, doch keine 30 Minuten später sorgte ein weiteres Schauspiel für Furore, denn es zog eine sogenannte “hole-punch cloud” vorüber.

DWD Ein Nachmittag im November 3

Sie sollte für den Beobachter bereits ein beeindruckendes Schauspiel darstellen, doch wurden später im Internet noch viel farbenprächtigere Bilder weiterer hole-punch clouds im Westen und Südwesten Deutschlands geteilt. Die genaue Entstehung ist noch umstritten, nicht fundiert geklärt und kann durch mehrere Faktoren hervorgerufen werden. Letztendlich sollte ein Initiator für Eiskristallbildung vorhanden sein, sodass diese Kristalle in die mit unterkühlten Wassertröpfchen ausgestatten tiefere Wolkenschicht fallen. Dank eines geringeren Sättigungsdampfdrucks über Eis als über den unterkühlten Wassertröpfchen lagern sich immer mehr Tröpfchen am Kristall an, der schlussendlich herunterfällt (siehe gelber Pfeil im Bild 4). Der Umgebung fehlt nun der Wasserdampf und es kommt zur Wolkenauflösung. Initiatoren können z.B. Flugzeuge sein, die es in der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens zahlreiche gibt. Zudem scheint ein möglicher Eiskristalleintrag von höheren Wolkenschichten eher unwahrscheinlich, da die Luftmasse zwischen den von Westen eintreffenden Cirren und der bereits vorhandenen tieferen Wolkenschicht sehr trocken war. Auch umgebende LIDAR Messungen deuteten keinen Eintrag von Eiskristallen an. Natürlich konnte man diese auch vom Satelliten aus erkennen, wobei exemplarisch zwei Beispiele im Bild 5 mit gelben Kreisen hervorgehoben wurden.

DWD Ein Nachmittag im November 4

Beendet wurde dieser spannende Nachmittag an der frischen Luft durch den Ausruf von Nachbarskindern, die von Südwesten ein Einhorn heranschweben sahen. Diese tiefe Bewölkung wurde in Folge einer schwachen Konvergenzpassage, wo also Winde aus unterschiedlichen Richtungen zusammenströmen, an den Spessart gedrückt, gehoben und es bildeten sich vor der untergehenden Sonne neben bedrohlich aussehenden Wolkentürmen u.a. auch die abendliche Einhorn-Wolke (mit viel gutem Willen erkennbar – naja).

DWD Ein Nachmittag im November 5

Damit ging ein spannender Nachmittag zu Ende, der wieder einmal zeigte: ein Blick in den Himmel kann Freude bereiten sowie Klein und Groß zum Wolkenraten animieren. Versuchen Sie es doch auch mal bei nächster Gelegenheit und lassen Sie sich von der Vielfalt an Strukturen und Formen beeindrucken.

Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.11.2022
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Das Ostseesturmhochwasser 1872 (Teil 2/2)

Nach mehreren Tagen mit recht glatter westlicher Strömung (Tiefdruckgebiet über Skandinavien, hoher Luftdruck über Südwesteuropa und großen Teilen Mitteleuropas) stellte sich die Wetterlage ab dem 10.11.1872 markant um. Die großräumige Strömung begann über dem europäischen Kontinent stärker zu mäandrieren (Auslenkung von Nord nach Süd) und beendete somit die anhaltende westliche Grundströmung. An den folgenden Tagen verstärkte sich diese Tendenz zur Meridionalisierung deutlich und gipfelte schließlich in einem sogenannten “Cut Off” (siehe DWD-Wetterlexikon) in der mittleren und oberen Troposphäre. Ein solches Cut-Off-Tief entkoppelt sich als eigenständiges Höhentief von der troposphärischen Grundströmung und kann dadurch in den meisten Fällen deutlich länger an einem Ort verweilen (Stationarität). In diesem Falle nistete sich das Höhentief am 11. und 12.11. über Mitteleuropa ein und verlagerte sich an den Folgetagen kaum mehr. Die unmittelbare Folge davon war, dass die kräftigen Westwinde zum Erliegen kamen und die in der nördlichen und östlichen Ostsee gestauten Wassermassen wieder langsam den Rückweg einschlugen (“Zurückschwingen”).
Doch damit nicht genug. Aus Teilen einer Tiefdruckzone über Mitteleuropa entwickelten sich am 11.11. und 12.11.1872 ein kräftiges Tief über Oberitalien und dem östlichen Balkan, das unter Intensivierung nach Norden zog. Gleichzeitig baute sich über Skandinavien ein mächtiges Hochdruckgebiet auf, das in weiterer Folge als Gegenspieler des Tiefs fungierte. Aus den Reanalysedaten kann abgeleitet werden, dass das Tief ausgangs der Nacht zum 13.11.1872 einen Kerndruck (im Bereich der Lausitz) von um oder etwas unter 1000 hPa und das Hoch in seinem Schwerpunkt über Mittelschweden etwas über 1040 hPa aufgewiesen haben könnten. Damit war auf einer relativ kleinen Distanz ein großer Druckunterschied gegeben, der anhaltenden Sturm oder gar Orkan aus Ost bis Nordost über der südlichen Ostsee verursachte. Somit drehte sich aufgrund der nun inversen Bodendruckkonstellation die Windrichtung innerhalb kurzer Zeit um etwa 180 Grad.

DWD Das Ostseesturmhochwasser 1872 Teil 22

Warum ist gerade diese Mixtur so verheerend? Führen wir uns an dieser Stelle noch einmal die Ostsee als eine Art “Badewanne” vor Augen. An den linken Badewannenrand stellen wir nun einen Ventilator auf, der die kräftige Westströmung zu Monatsbeginn simulieren soll. Das Wasser wird nun entsprechend an den rechten Rand gedrückt. Innerhalb kürzester Zeit stellen wir nun den Ventilator gedreht auf die gegenüberliegende Badewannenseite und erhöhen die Geschwindigkeit auf die höchste Stufe. Damit “schwappt” das Wasser nicht einfach nur zurück, nein, die Flutwelle wird durch die starken Winde aus der entgegengesetzten Richtung sogar noch verstärkt. Stellt man sich abschließend noch den linken Badewannenrand, auf den die Flutwelle nun zurollt, nicht als eine handelsübliche runde, breite Form, sondern als trichterförmige Bucht vor, kann man sich die Folgen des Windstaus leicht ausmalen.
Begleitet durch Schneeschauer und Gewitter begann das Wasser in der Nacht vom 12. zum 13.11. an den Küsten von Dänemark bis nach Pommern rasch und stetig zu steigen. An vielen Pegeln wurde die Marke für eine sehr schwere Sturmflut (nach heutiger Definition 2,0 m oder höher über Mittelwasser laut BSH Homepage) deutlich überschritten, in Travemünde und Lübeck gar der Wert von 3,30 bis 3,50 m erreicht. Besonders schwer getroffen waren schließlich jene Orte, deren enge Buchten die Ansammlung der Wassermassen nochmals potenzierten.

DWD Das Ostseesturmhochwasser 1872 Teil 22 2

Aus den vielen überlieferten, teils dramatischen Berichten und eindrücklichen Tagebucheinträgen (siehe Link 3 und 4) kann abgeleitet werden, dass jenes Ereignis zwar nicht völlig überraschend kam (die Bevölkerung wusste aus ihrer Erfahrung um die Problematik eines Hochwassers bei rascher Winddrehung), doch in seiner Heftigkeit und Schnelligkeit die meisten massiv überforderte. So fanden viele Menschen und Tiere den Tod in den Wassermassen. Die Rede ist von 271 Toten, mehr als 15000 Obdachlosen und 10000 Viehkadavern. Der Wiederaufbau dauerte viele Jahre. Von den Ausmaßen dieser Katastrophe zeugen noch historische Hochwassermarken an den Gebäuden sowie die Einträge in den Chroniken. Zu diesem runden Jahrestag gibt es außerdem an einigen Orten Ausstellungen zu den damaligen Ereignissen.
Sie sehen: Sturmfluten an der Ostsee können tückisch und verheerend sein. Durch diese “Rückschwappeffekte” kann es sogar passieren, dass schwere Sturmfluten vor Ort selbst bei relativ windschwachen Verhältnissen und damit für viele umso überraschender auftreten. Zudem kann die brenzlige Situation bei stabilen Wetterlagen durchaus auch mehrere Tage anhalten, was zu einer dauerhaften Belastung der Deiche, Stauwälle und Kliffs führt. Im Gegensatz dazu läuft das Wasser an der Nordsee in der Regel zwar höher auf, durch die Gezeiten aber spätestens nach 6 Stunden auch wieder ab.
Mit den heutigen Möglichkeiten der atmosphärischen Prognostik und der modellierten Wasserstandsvorhersage kann ein solches Ereignis mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrere Tage im Voraus erkannt werden. Zudem sind während der letzten Jahrzehnte viele Milliarden in die Küstenschutzmaßnahmen investiert worden, sodass berechtige Hoffnung besteht, dass ein Hochwasser solchen Ausmaßes etwas glimpflicher verläuft – obschon die Bevölkerungsdichte an der Ostseeküste enorm gestiegen ist.

Dipl.-Met. Robert Hausen, Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 13.11.2022
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Das Ostseesturmhochwasser 1872 (Teil 1/2)

An diesem Wochenende (12. und 13. November) jährt sich zum 150. Mal eine der folgenschwersten Naturkatastrophen an der westlichen Ostseeküste der letzten Jahrhunderte: das Ostseesturmhochwasser 1872. In jener Nacht wurden die küstennahen Bewohner von einer, nach heutiger Definition, sehr schweren Sturmflut heimgesucht, die allein in den deutschen Gebieten verschiedenen Quellen zufolge mindestens 271 Tote forderte und tausenden Menschen das Obdach kostete. Darüber hinaus kamen unzählige Tiere in den Fluten ums Leben und die öffentliche sowie private Infrastruktur auf Land und See wurde massiv beschädigt. Doch wie konnte es zu einem solchen Extremereignis kommen?

Zunächst muss ein solches Hochwasser im Bereich der Ostsee von den deutlich bekannteren und auch häufigeren Sturmfluten an der Nordseeküste unterschieden werden. Im Gegensatz zu den tidenabhängigen Ereignissen der Nordsee sind die Schwankungen zwischen Ebbe und Flut in der Ostsee deutlich geringer. Ursächlich dafür ist die Eigenschaft der Ostsee als sogenanntes “halbgeschlossenes Randmeer”, womit vor allem die herrschenden Windverhältnisse und -entwicklungen in den Mittelpunkt der Hochwasservorhersagen rücken – die astronomischen Randbedingungen können somit in erster Näherung vernachlässigt werden.

Grundsätzlich kann man sich die Ostsee als eine besonders große Badewanne vorstellen, in der die Wassermassen aber alles andere als stationär lagern, sondern den äußeren dynamischen meteorologischen Einflüssen direkt unterworfen sind. Beispielsweise senkt sich der Meeresspiegel bei einem ablandigen Wind (Windrichtung vom Land aufs Meer) vor der Küste, im Gegensatz dazu erhöht er sich bei einem auf die Küste gerichteten (auflandigem) Wind deutlich. Dazu kommt, dass beispielsweise der Durchzug eines Tiefs keine statischen Windverhältnisse verursacht, sondern es typischer Weise zu deutlichen Veränderungen der Windrichtung und -stärke innerhalb kürzester Zeit kommen kann. Damit sind folglich auch die unterschiedlichen Küstenabschnitte einer schnellen zeitlichen Veränderung der Gefährdung unterworfen.

DWD Das Ostseesturmhochwasser 1872 Teil 12

Zur damaligen Zeit war die meteorologische Wissenschaft natürlich noch in den Kinderschuhen und weit von jenen prognostischen Vorhersageleistungen entfernt, die wir heute mit den mittlerweile meist zuverlässigen und hochaufgelösten atmosphärischen Wettermodellen erreichen. Gleiches gilt für die darauf aufbauenden Modelle zur Wasserstandvorhersage. Auch die damalige Quantität der Beobachtungsdaten ist mit den heutigen Möglichkeiten nicht vergleichbar. Nichtsdestotrotz kann die historische Wetterlage von damals aus den verfügbaren Daten berechnet werden, wenngleich man auf einen gewissen Grad an Genauigkeit verzichten muss. Zur Berechnung behilft man sich dabei statistischen Methoden der heutigen Zeit und vertraut auch auf die mittlerweile etablierte Ensembletechnik. Ein sehr bekannter und frei verfügbarer Datensatz ist beispielsweise aus dem Projekt 20CR der NOAA entstanden, das einen globalen atmosphärischen Datensatz des Wetters von 1836 bis 2015 generierte. In diese Zeit fallen unter anderem auch markante historische Wetterereignisse wie das Ostseesturmhochwasser 1872.

Die Analysen der Wetterkarten für den damaligen Zeitraum zeigen eindeutig, dass auch diese Naturkatastrophe (wie auch viele andere) nicht die eine monokausale Ursache aufweist. Vielmehr ist es eine nachteilige Kombination von Wetterlagen, die kumuliert in einer besonders gefährlichen Situation münden. So war die Wetterlage im November 1872 bereits von Monatsbeginn an durch eine überwiegend westliche Großwetterlage gekennzeichnet. Im Bodendruckfeld standen sich häufig ein kräftiges Tief über Skandinavien und eine Hochdruckzone mit Schwerpunkt über Südwesteuropa und dem westlichen Mittelmeerraum gegenüber. Daraus entwickelte sich eine lang anhaltende und kräftige westliche Strömung, die sich in der ersten Novemberdekade immer wieder regenerieren konnte. Zudem verschärfte sich der Gegensatz zwischen dem hohen Luftdruck über Südeuropa und den Tiefs über Skandinavien mit Fortdauer zunehmend. Der daraus resultierende starke westliche Wind trieb damit über mehrere Tage hinweg Wasser in die östliche und nördliche Ostsee, das via Skagerrak und Kattegat durch weiteres Ozeanwasser ersetzt werden musste. So gibt es Berichte von deutlich unterdurchschnittlichen Wasserständen (bis 90 cm unter Mittelwasser) in der Flensburger Förde sowie der Kieler und Lübecker Bucht.

Etwa um den 10.11.1872 änderte sich die bisherige Westwetterlage zwar grundlegend, das Fundament für die kommende Katastrophe war damit aber gelegt. Die spannende weitere meteorologische Entwicklung und einen Einblick in die massiven Folgen für die Anrainer der westlichen Ostsee sind aber erst im zweiten Teil des Themas des Tages zu finden (Veröffentlichung am 13.11.2022).

Dipl.-Met. Robert Hausen, Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 12.11.2022
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DWD Das Ostseesturmhochwasser 1872 Teil 12 2

Das Wetter am 11. November 1952

Genau 70 Jahre ist es am heutigen 11. November 1952 her, dass der Deutsche Wetterdienst gegründet wurde. In Sachen Wetter und Klima ist in dieser Zeit viel passiert und nicht nur deshalb ist ein Blick auf das Wetter am Gründungstag sehr interessant.

Abbildung 1 zeigt die Wetterkarte des Deutschen Wetterdienstes vom Dienstag, 11. November 1952 um 7 Uhr morgens. Hinter einem Tief über der Ostsee strömte auf direkten Weg vom Nordmeer über die Nordsee arktische Polarluft nach Deutschland. Mit dem Hoch mit Schwerpunkt westlich der Britischen Inseln lässt sich die Großwetterlage “Nord zyklonal” (Nz) klassifizieren, der wir im bisherigen Herbst 2022 überhaupt noch nicht begegnet sind. Die Drängung der Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks) verrät, dass die Strömung recht straff war, was recht windiges Wetter bedeutete. Im Bereich der über Süddeutschland liegenden Kaltfront kam es gebietsweise zu Niederschlägen (schräg nach oben rechts schraffierte Bereiche), die zum Teil als Schnee fielen (gekennzeichnet durch die Sterne). Im Norden traten Schauer auf (markiert durch nach unten weisende Dreiecke).

DWD Das Wetter am 11. November 1952

 

Die Beobachtungen (siehe Abbildung 2, 3. Spalte oben) zeigen Temperaturen zwischen 0 und 6 Grad im Tiefland und Frost im höheren Bergland. Auf der Zugspitze wurden -11 Grad gemessen bei einer Schneehöhe von 4 Metern (!). Da muten die am heutigen Freitagmorgen gemessenen 20 cm Schnee dort ganz schön kümmerlich an.

Darüber hinaus zeigen die damaligen Beobachtungen, dass es vor allem im Süden auch viel geregnet hat. In Oberstdorf fielen sogar 51 Liter pro Quadratmeter in 24 Stunden (siehe 4. Spalte oben), was umgemünzt auf unser heutiges Warnmanagement eine Unwetterwarnung vor ergiebigen Dauerregen bedurft hätte. Auch sonst gab es im Süden häufig 10 bis 30 Liter pro Quadratmeter in 24 Stunden.

DWD Das Wetter am 11. November 1952 1

 

Und wie war die Vorhersage? Das verrät Abbildung 3 im unteren Teil, wobei die Vorhersagen allerdings für den kommenden Tag galten, also dem 12. November 1952. Erwartet wurden in Südbayern noch Schneefälle, die aber nachlassen sollten. In den anderen Regionen wurde mit Schauern, teils als Regen, teils als Schnee, gerechnet. Die Höchsttemperaturen sollten bei 1 bis 4 Grad liegen, nachts wurde häufig leichter Frost prognostiziert. Auch in den Folgetagen sollte es nach kurzer Pause nasskalt weitergehen. Von derartig nasskalten Verhältnisse sind wir derzeit zwar noch weit entfernt, im Laufe der kommenden Woche deutet sich aber eine Abkühlung an.

DWD Das Wetter am 11. November 1952 2

Dipl.-Met. Simon Trippler
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 11.11.2022
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