Alarmierende Gletscherschmelze in den Alpen

Allein die Webcams aus den Gletscherregionen der Zentralalpen zeigen bereits eindrucksvoll das massive Schmelzen der für die Gletscher so wichtigen schützenden Schneeschicht. Beispielhaft sei hier der Vergleich vom Kleinfleißkees zwischen diesem und letztem Jahr (Abbildung 1 und 2; mit freundlicher Unterstützung von www.foto-webcam.eu) gewählt. Auf dem Gipfel des 3106 m Sonnblicks (oben rechts in den Abbildungen 1 und 2) betreibt die Zentralanstalt für Meteorologie und Geophysik (ZAMG) am Alpenhauptkamm ein Observatorium. Besonders eindrücklich wird es zudem, wenn man sich dazu noch die nackten Zahlen vor Augen führt. Am Observatorium am Sonnblick beträgt die Schneehöhe aktuell nur noch 26 cm, ein Negativrekord für diese Jahreszeit. Hält der Trend an, dann ist der Sonnblick in wenigen Tagen praktisch schneefrei. Auf der Zugspitze gibt es seit fast zwei Wochen keine geschlossene Schneedecke mehr, nur noch Schneeflecken. Das wird auch beim Blick auf den Schneeferner unterhalb des Gipfels sichtbar (Abbildung 3). Ähnlich früh lag zuletzt 1960 so wenig Schnee. Die tiefer gelegenen Gletscherregionen sind daher oft schon aper, sprich das blanke Eis ist zu sehen. Zum Teil liegt das Eis soweit frei, wie es normalerweise erst im August der Fall ist. Und jenes Eis schmilzt nun seit einigen Wochen besonders rasant. Selbst in den höchsten Lagen schützt nur noch wenig Schnee das Gletschereis. Normalerweise würden in den Lagen oberhalb von 3000 m um diese Jahreszeit noch rund 2 bis 3 m Schnee liegen. Welche Faktoren sind für die außerordentlich dramatische Lage der Gletscher in den Alpen verantwortlich? Da wäre zum einen der Winterniederschlag. Das Winterhalbjahr war in den inneralpinen Regionen, wo die meisten Gletscherregionen liegen, aber insbesondere auch südlich des Alpenhauptkamms besonders schneearm. Lediglich in einigen Staulagen der Nordalpen brachte vor allem der Februar etwas überdurchschnittlich Niederschlag. Allerdings profitierten von den Neuschneemengen nur die Hochlagen, da der Winter erneut überdurchschnittlich mild ausfiel. Im Frühjahr setzte sich dann die schneearme Lage fort.

Des Weiteren gab es vor allem Mitte März mehrere teils intensive Saharastaubereignisse. Der Staub setzte sich auf dem Schnee ab und machte ihn besonders schmutzig. Zwar wurde dieser zwischenzeitlich mal von Neuschnee überlagert aber spätestens ab Mai war der Staub wieder an der Oberfläche. Der dunkle Staub verringerte dabei das Reflexionsvermögen (Albedo) des Schnees und erhöht im Gegenzug die Absorption der Sonnenenergie. Dadurch wurde der Schmelzprozess enorm beschleunigt.

Während in den letzten drei Jahren der Mai relativ kühl ausfiel, war jener in diesem Jahr deutlich zu warm. Vor allem in den westlichen Regionen war es sogar teilweise der wärmste Mai der Messgeschichte. Streckenweise verlief der Mai schon hochsommerlich, sodass es dem Schnee in Kombination mit dem vorhandenen Saharastaub sehr früh und besonders stark an den Kragen ging. Und auch der nun zurückliegende Juni fiel besonders warm, ja teils sogar sehr heiß, aus. Neben viel Sonne waren aber auch häufig heftige Gewitter unterwegs. Für die Gletscherregion war das freilich nicht gut verträglich, wie die oben genannten Schneehöhen beweisen. Die Nullgradgrenze lag oft in 4000 Meter oder teils darüber und auch in den Nächten reicht es auf den Gletschern nur selten für leichten Frost.

In den nun anstehenden Sommermonaten Juli und August wären für die Gletscher kühlere Phasen mit halbwegs regelmäßigem Neuschnee notwendig. Der Neuschnee würde die dunkleren Eisflächen mit dem teils darauf lagernden Staub oder Geröll überdecken und so die Albedo im Bereich der Gletscherregionen deutlich erhöhen. Allerdings sieht es in den Kurz- sowie in den Mittelfristprognosen derzeit nicht nach einem markanten Kaltlufteinbruch mit Sommerschnee aus. Generell ist die Wahrscheinlichkeit für solche wichtigen Schneefallereignisse im Sommer mit dem wärmer werdenden Klima zurückgegangen.

Mit den genannten Vorbedingungen droht den Gletschern in diesem Jahr somit ein besonders großer, wenn nicht gar historischer, Aderlass und Flächenverlust. Ohne die schützende Schneedecke kostet den Gletschern jeder heiße und sonnige Tag rund zehn Zentimeter Eis. Bis Ende September dauert im Schnitt die Ablationsperiode, jene Phase also in der im Massenhaushalt eines Gletschers die Ablation (also das Abschmelzen bzw. Sublimieren von Schnee und Eis) die Akkumulation überwiegt. Neben dem Flächenverlust dürfen auch die Einbußen in der Mächtigkeit der Gletscher nicht vernachlässigt werden. Zuletzt sei noch ein Blick auf einen besonders markanten Gletscher gerichtet.

Die Pasterze, der größte Gletscher Österreichs und der längste der Ostalpen, droht gar in diesem Sommer auseinanderzubrechen. In den letzten Jahren hat sich die Gletscherzunge in der Größenordnung von rund fünfzig Metern pro Jahr zurückgezogen. Die Eisdicke nahm im Mittel etwa um 5 Meter pro Jahr ab, wobei es im untersten Bereich der Gletscherzunge sogar bis rund neun Meter waren. Der untere Bereich des Gletschers ist inzwischen nur noch über einen dünnen Eisstreifen mit dem oberen Teil verbunden (rot markierte Bereich in Abbildung 4). Sollte dieser nur mehr wenig mächtige Eisstrom in diesem Sommer abschmelzen, dann wäre der untere Teil vom Eisnachschub abgetrennt. Als Folge daraus, würde die Gletscherzunge in einem Zeitraum von etwa 10 bis 20 Jahren gänzlich verschwinden. Insgesamt gehen die Glaziologen davon aus, das bis zur Mitte des Jahrhunderts die Alpen etwa 50 Prozent ihres derzeitigen Eisvolumens einbüßen könnten. Der Gletscherrückgang hätte große Auswirkungen auf die Alpen, da die Gletscher ein wichtiger Bestandteil des Ökosystems, der Landschaft und der Wirtschaft der Region sind. Sie dienen als natürlicher Süßwasserspeicher für Flora und Fauna sowie für Landwirtschaft und Wasserkraft.

M.Sc.-Met. Sebastian Altnau

Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 01.07.2022

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