FlĂŒsse schlĂ€ngeln sich mal ruhig und still, mal mit tosender Gewalt durch unsere Landschaften und StĂ€dte. Doch auch in der AtmosphĂ€re gibt es FlĂŒsse, die jedoch kaum jemand (auĂerhalb des Meteorologenkreises) kennt. Um richtige FlĂŒsse handelt es sich dabei natĂŒrlich nicht, aber „nass“ ist es in den entsprechenden AtmosphĂ€renschichten schon. In der AtmosphĂ€re findet zu jeder Zeit und kontinuierlich ein Feuchtestrom von den (sub-)tropisch warmen Bereichen nach Norden in die kĂŒhleren mittleren Breiten statt. Gefördert wird dies durch rege TiefdruckaktivitĂ€t, die fĂŒr das Vermischen der unterschiedlich temperierten Luftmassen mit variablem Feuchtegehalt verantwortlich ist.
In der Wissenschaft beschreibt ein atmosphĂ€rischer Fluss (engl. atmospheric river) ein relativ schmales, gerichtetes Band feuchtegesĂ€ttigter Luft in 1 bis 2,5 km Höhe mit einer Breite von etwa 500 km und einer LĂ€nge von rund 2000 km und mehr. Angetrieben wird dieses Feuchteband zudem von starken Winden. Diese „WasserdampfförderbĂ€nder“ bewegen sich daher mit dem Wetter und transportieren dabei den gröĂten Teil des Wasserdampfs auĂerhalb der Tropen. Ein einzelner AtmosphĂ€renfluss kann laut der NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) eine Wassermenge mit sich fĂŒhren, welche in etwa der 7,5 bis 15-fachen Menge entspricht, die der Mississippi an seiner MĂŒndung normalerweise fĂŒhrt. An der WestkĂŒste Nordamerikas sind solche Strömungen schon lĂ€nger aufgrund ihrer Herkunft aus tropischen Meeresregionen des mittleren Pazifiks rund um Haiwaii als „Ananas-Express“ bekannt.
AtmosphĂ€rische FlĂŒsse gibt es in vielen Formen und GröĂen und sie treten nicht nur ĂŒber dem Pazifik auf. In der ErdatmosphĂ€re sind zu jeder Zeit und pro Erdhalbkugel rund fĂŒnf solcher Wasserdampfströme unterwegs. Die folgende Animation zeigt das in der AtmosphĂ€re verfĂŒgbare niederschlagbare Wasser aus dem ICON Modell, welches den atmosphĂ€rischen Fluss von den Subtropen in die mittleren Breiten sichtbar macht. Die atmosphĂ€rischen FlĂŒsse nehmen eine zentrale Rolle im globalen Wasserkreislauf ein. Sie sind fĂŒr mehr als 90% des globalen meridionalen (und damit polwĂ€rts gerichteten) Wasserdampftransportes verantwortlich, obwohl sie so schmal ausfallen. Es ist auch bekannt, dass atmosphĂ€rische FlĂŒsse zu etwa 22 % des gesamten globalen Abflusses an der ErdoberflĂ€che beitragen. An der WestkĂŒste Nordamerikas sind rund 30-50 % des jĂ€hrlichen Niederschlages auf den âAnanas-Expressâ zurĂŒckzufĂŒhren

Auch hier in Europa erleben wir immer wieder solche „AtmosphĂ€renflĂŒsse“ (wie in Abbildung 1 derzeit auch erkennbar), die vor allem den Westen Europas wie die Britischen Inseln, die Iberische Halbinsel, Frankreich oder Norwegen heimsuchen können. Mit etwas AbschwĂ€chung können sie auch Mitteleuropa beeinflussen. Bisher gibt es jedoch fĂŒr unsere Breiten noch keine entsprechende Namensnennung.
Welche Gefahren bergen nun solche atmosphĂ€rischen FlĂŒsse? Wenn solche Ereignisse auf das Festland treffen, geben sie den mitgefĂŒhrten Wasserdampf in Form von NiederschlĂ€gen ab. Nicht alle FlĂŒsse verursachen jedoch gleich SchĂ€den. Die meisten sind schwache Systeme, die nĂŒtzlichen Regen oder Schnee liefern, der fĂŒr die Wasserversorgung wichtig ist.
Jene FlĂŒsse aber, die die gröĂten Mengen an Wasserdampf und die stĂ€rksten Winde enthalten, können enorme Regenmengen verursachen, wobei allerdings weitere Faktoren eine Rolle spielen. Wenn der Fluss ĂŒber einen lĂ€ngeren Zeitraum auf die gleiche Region trifft und insbesondere mit einer senkrechten Komponente auf eine Gebirgskette (z.B. Zentralmassiv in Frankreich oder Skandinavisches Gebirge in Norwegen) gerichtet ist, dann muss im Stau mit sehr ergiebigen RegenfĂ€llen gerechnet werden, die mehrere Tage andauern können. Zudem sorgt die herangefĂŒhrte, meist auch noch sehr warme Luft aus den Subtropen dafĂŒr, dass die Schneefallgrenze auĂergewöhnlich hoch ansteigt und somit in den Bergen nicht in Form von Schnee gebunden werden kann. Das alles sind Bedingungen, die fĂŒr einen erhöhten Abfluss förderlich sind und somit die Hochwasser- und Ăberschwemmungsgefahr deutlich erhöhen. Wie ausgeprĂ€gt diese Gefahr ist, hĂ€ngt auch davon ab, wie schnell sich so ein „AtmosphĂ€renfluss“ verlagert. Insgesamt können diese Ereignisse in den ĂŒberschwemmungsgefĂ€hrdeten Wassereinzugsgebieten Verkehrswege unterbrechen, Schlammlawinen auslösen und damit verbunden katastrophale SchĂ€den an Infrastruktur verursachen oder gar Menschenleben kosten.
Welchen Einfluss könnte nun der Klimawandel mit höheren Temperaturen auf die „AtmosphĂ€renflĂŒsse“ nehmen? Man geht davon aus, dass atmosphĂ€rische FlĂŒsse durch den Klimawandel um 25 % lĂ€nger und um 25 % breiter werden und mehr Wasser fĂŒhren werden. Dies könnte die Bewirtschaftung der Wasserversorgung erheblich erschweren, da gemĂ€Ăigte atmosphĂ€rische FlĂŒsse, die fĂŒr die Wasserversorgung von Vorteil sein können, seltener auftreten und starke FlĂŒsse hĂ€ufiger und intensiver werden könnten.

Die WestkĂŒste der USA wird seit dem Jahreswechsel von einem fortdauernden atmosphĂ€rischen Fluss mit einer Serie von krĂ€ftigen Tiefdruckgebieten heimgesucht. Einzelne Niederschlagsevents luden dabei rekordverdĂ€chtige Mengen teils zwischen 100 und 150 mm innerhalb eines Tages ab. Aufsummiert ĂŒber die vergangenen 14 Tage kamen dabei verbreitet in Kalifornien 200 bis 500 mm (Abb. 2, links) zusammen, was einer Abweichung von 300 bis 600 % zum Normalwert fĂŒr die Jahreszeit entspricht (Abb. 2, rechts). Wiederholte Ăberschwemmungen, MurenabgĂ€nge, umgestĂŒrzte BĂ€ume mit gröĂeren StromausfĂ€llen waren die Folge und hielten die EinsatzkrĂ€fte durchgehend beschĂ€ftigt. Leider wurden auch schon ĂŒber ein Dutzend Todesopfer gezĂ€hlt. In den Hochlagen der Sierra Nevada fielen die Niederschlagsmengen noch höher aus, wobei dort ein betrĂ€chtlicher Teil in Form von groĂen SchneehöhenzuwĂ€chsen zu verzeichnen war. Dabei wurden an nahezu 30 Stationen die bisher gröĂte Schneedecke registriert. Vielfach kletterte die Schneedecke dabei auf 175 bis 250 % des Normalwertes.

Ăber die nĂ€chsten Tage hĂ€lt die rege TiefdruckaktivitĂ€t ĂŒber dem Pazifik an, wodurch weiterhin groĂe Niederschlagssummen (nach dem ICON bis zu 300 mm) abgeladen werden (siehe Abb. 3).

Auch bei uns in Deutschland hĂ€lt die nasse Witterung mit Tiefs am laufenden Band an, die sich auf einen atmosphĂ€rischen Fluss (wenngleich einem schwĂ€cheren) vom Atlantik zurĂŒckfĂŒhren lassen. Regengebiete ziehen in den kommenden Tagen wiederholt ĂŒber die Bundesrepublik. Insbesondere in den westlichen und sĂŒdlichen Mittelgebirgen kommen teils ergiebige Summen zusammen (siehe Abb. 4). In den dortigen Regionen dĂŒrfte an den FlĂŒssen und BĂ€chen die Hochwassergefahr zunehmen.
M.Sc. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 11.01.2023
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