Von “High-over-Low” zu Vb-artigem Tief

Die aktuelle Wetterlage über Europa lässt sich für das Wochenende in die Kategorie “High-over-Low” einsortieren. Dabei hat sich zwischen einem Hoch über dem Atlantik und einem sehr stationären Hoch über dem Baltikum eine ausgeprägte Hochdruckzone etabliert. Dem Hochdruckblock (“High“) gegenüber steht ein umfangreicher Tiefdruckkomplex (“Low“) über dem Mittelmeerraum, respektive Südwest- und Südeuropa. Die eher übliche Druckverteilung mit tiefem Luftdruck Richtung Island und Nordmeer ist damit quasi auf den Kopf gestellt (siehe Abbildung 1).

DWD Von High over Low zu Vb artigem Tief

Deutschland liegt im Grunde genau zwischen diesen beiden Druckgebilden in einer östlichen Strömung, mit der vor allem in die Nordhälfte des Bundesgebietes recht trockene und mäßig warme Festlandsluft aus Osteuropa geführt wird. Abgesehen von ein paar flachen Schönwetter-Cumuli dürfte die Sonnenausbeute in den nördlichen Landesteilen über das Wochenende sehr hoch ausfallen. Angenehme Höchstwerte von 20 bis 23 Grad laden zu Aktivitäten an der frischen Luft oder zum abendlichen Grillen ein. Ein etwas anderes Bild ergibt sich für die Südhälfte. Die Nähe zum Tiefdruckkomplex über dem Mittelmeerraum hinterlässt seine Spuren, denn hier bleibt feuchte und leicht instabile Luft vorherrschend. Die vielen Wolken zeigen in den südlichen Regionen nur wenig Bereitschaft der Sonne ein bisschen Platz zu machen. Zudem können sich insbesondere ab den Nachmittagsstunden, etwa ab der Mittelgebirgsschwelle und südlich davon, örtliche Schauer oder auch mal kurze Gewitter entwickeln. Beim Freizeitausflug oder der Gartenarbeit sollte man sich auf den ein oder anderen Regenguss einrichten oder zumindest das Regenradar im Blick behalten werden. Auch das Quecksilber kommt in der Südhälfte nicht aus dem Quark und verbleibt zumeist unter der 20-Grad-Marke.

DWD Von High over Low zu Vb artigem Tief

Spannend wird es dann im Verlauf des Sonntages. Initialgeber für die bevorstehende Lage ist ein elliptisches Höhentief, das sich etwa von der Iberischen Halbinsel bis zum westlichen Alpenraum orientiert. Zum Sonntag splittet sich der östliche Teil ab und initiiert zudem über Norditalien eine neuerliche stärkere Bodentiefentwicklung. Jenes begibt sich in der Folge dann auf eine sogenannte Vb (sprich: fünf-b) ähnliche Zugbahn. Die Einteilung der Tiefdruckwanderwege in 5 Klassen erfolgte durch den Meteorologen Wilhelm Jacob van Bebber in den 1890er Jahren. Der Reiseweg von unserem Vb-Tief führt über den östlichen Alpenraum weiter über Tschechien und Polen und später noch weiter nord-nordostwärts ins Baltikum (siehe animierte Abbildung 2). Tiefdruckgebiete mit solch einer Zugbahn rufen in meteorologischen Fachkreisen immer ein gewisses Alarmsignal hervor. Solche Wetterlagen sind prädestiniert, Hochwasser hervorzurufen. Da sich Tiefdruckgebiete auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn drehen, führen die Vb-Tiefs auf ihrer Vorderseite sehr feuchte und warme Mittelmeerluft mit sich. Gleichzeitig strömen an der Westflanke der Tiefs kühlere Luftmassen weit über Westeuropa weiter nach Süden. Die feuchtwarmen, nordwärts geführten Luftmassen aus dem Mittelmeer werden daher gezwungen, über die kühleren aufzugleiten. Mit diesen Hebungsprozessen stehen dann zum Teil länger anhaltende und ergiebigere Niederschläge in Verbindung. Für die Intensität der Niederschläge ist auch die genaue Luftmassenkonfiguration entscheidend. Aufgrund der Jahreszeit ist das Potential für unwetterträchtige Regensummen noch etwas limitierter. Ein Indiz dafür liefert beispielsweise das Niederschlagbare Wasser in der Atmosphäre. Mit Werten von 20 bis 25, lokal vielleicht an die 30 l/m² niederschlagbarem Wasser ist die Luftmasse nicht außerordentlich feucht.

DWD Von High over Low zu Vb artigem Tief 1

Vb-Tiefs bereiten den Modellen und auch den Meteorologen in aller Regel durchaus Kopfzerbrechen und können für die ein oder andere Überraschung sorgen. So ergeben sich oftmals Schwankungen in der präzisen Prognose der Zugbahn oder der Intensität des Tiefs und der damit verbundenen Niederschlagsfelder. Die aktuellsten Modellläufe haben sich hinsichtlich der Zugbahn etwas angeglichen. Dabei würde unser Vb-Tief Deutschland nun voraussichtlich “links” liegen lassen und über unsere östlichen Nachbarn via Tschechien und Polen ziehen. Das war in vorherigen, älteren Modellprognosen nicht immer so, denn da war noch eine weiter westlichere Spur über die Osthälfte Deutschlands vorgesehen. Die Änderung ist hinsichtlich der Niederschlagsprognosen nicht unerheblich. Waren zunächst für größere Landesteile teils ergiebigere Regensummen aufgrund der Aufgleitprozesse in den Modellvorhersagen enthalten, werden wohl nun nur noch die südlichen und östlichen Landesteile davon etwas abbekommen. Bis einschließlich Montag simuliert das ICON6 Modell daher keine besonders hohen Niederschlagssummen. Im Südosten deuten sich aufsummiert Mengen von 20 bis 30, an den Alpen bis 60 l/m² an (siehe Abbildung 4). Das letzte Wort (hinsichtlich der Niederschläge in Deutschland) ist bis Sonntag sicherlich noch nicht gesprochen. Das Tief muss sich “nur” wieder eine weiter westlichere Route suchen.

DWD Von High over Low zu Vb artigem Tief 2

Den Regenschirm oder die Regenjacke sollte man aber auch in den anderen Landesteilen nicht so weit weglegen. An der Westflanke des Tiefs stellt sich im Westen und Südwesten Schauerwetter ein, inklusive dem ein oder anderen Gewitter. Wo es dann genau schütten wird, ist noch offen. Ganz im Norden bleibt man wohl am längsten im Genuss von längerem sonnigem und trockenem Wetter.

Etwas mehr zur Sache geht es insbesondere in den Regionen rund um die Adria, vorrangig an der Küste Dalmatiens und entlang des Dinarischen Gebirges. Hier brachte bereits in den vergangenen Tagen ein erstes kräftigeres Italientief teils unwetterartige Regenmengen. Bis Montag werden hier akkumulierte Mengen von 100 bis 200 l/m² berechnet. Lokal sind je nach Modell auch Summen bis oder um 300 l/m² möglich. Es besteht demnach eine größere Unwettergefahr mit Überschwemmungen, Hangrutschungen und Murenabgänge.

M.Sc. (Meteorologe) Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 10.05.2023
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