Die Tiefen eines Gletschers

Die meisten Berg- oder Wintersportler waren schon mal auf einem, andere möchten vielleicht noch hin (bevor es zu spät ist..) – die Rede ist von Gletschern. Doch die wenigsten vermuten, was für eine spannende und faszinierende Welt sich unter den eigenen Füßen auftut – im Herzen eines Gletschers: Verschiedenste Eishöhlen und -grotten, mal mit breiten Gängen, mal mit gerade einmal kaninchenlochgroßen Durchgängen. Mal sind die Wände bedeckt mit sternförmigen Plättchen, prismenartigen Säulen oder Nadeln als Eiskristallen, mal sind die Wände aalglatt. Da fragt man sich zurecht: Wie können diese Wunderwerke entstehen?

Fangen wir von vorne, und ganz simpel an: Gletscher entstehen, wenn im Winter mehr Schnee fällt, als im Sommer wegschmilzt. Die Schneedecke wird durch mehrere Schneefallereignisse also immer dicker und schwerer und unter dieser Last werden die lockeren Schneeflocken mit der Zeit erst zu körnigem Firn und dann zu dichtem Eis gepresst. Die so entstehenden Schichten sind dabei ähnlich wie die Jahresringe eines Baumes ein gigantisches Klimaarchiv: Wenn man einen Eiskern aus einem Gletscher bohrt, zeigen sich die einzelnen Schichten wie auf einer Zeitreihe. Die ältesten Schichten sind ganz unten und die neuesten ganz oben. Dabei gibt es große Unterschiede in den einzelnen Schichten: Während manche unzählige Luftbläschen aufweisen, sind andere klar und glasig. Wieder andere Schichten sind voll mit Kies und Schmutz und erzählen damit die Geschichte von Erdrutschen oder Lawinen.

Diesen Blick in die Vergangenheit kann man hautnah in Eishöhlen im Inneren eines Gletschers erleben. Meistens entstehen solche Eishöhlen, wenn im Sommer das Eis an der Oberfläche schmilzt und sich das Schmelzwasser seinen Weg durch den Gletscher bahnt, durch Risse und Spalten läuft und so den Gletscher “aushöhlt”. Man spricht in diesem Fall von einem “warmbasalen” Gletscher, wie sie beispielsweise in den Alpen vorkommen.

Es gibt aber auch polare, sogenannte “kaltbasale” Gletscher (die detaillierten Unterschiede der beiden Gletscherarten würde an dieser Stelle zu weit führen). Sie sind beispielsweise auf Spitzbergen zu finden, wo mehr als die Hälfte der Fläche von Gletschereis bedeckt ist. Das Gletschereis dort ist so kalt, dass das Schmelzwasser nicht direkt durch das Eis nach unten laufen kann, sondern zunächst entlang der Oberfläche fließt. Nur sehr langsam werden Kanäle in das Eis “geschnitzt”, die unmittelbar an die Oberfläche angrenzen. Manche Kanäle schaffen sich dann einen Weg zum Boden des Gletschers und formen so Eishöhlen, die in ihrer Art sehr besonders sind. Im Winter fallen diese Schmelzwasserhöhlen trocken. Dann können sie begangen (bzw. bei den oben erwähnten kaninchenlochgroßen Durchgängen bekrochen) werden und bieten faszinierende Einblicke in das Innere eines Gletschers (siehe Fotos).

Und wenn Sie das nächste Mal auf einem Gletscher stehen, können Sie sich vielleicht ein klein wenig besser vorstellen, welch imposante Eiswelt sich unter Ihren Füßen verbirgt und wie sie entstanden ist. Wobei sich neben das Gefühl der Faszination, angesichts der Nachrichten, dass sich die Arktis dreimal schneller erwärmt als der Rest der Welt und dass sich auch die Gletscher in den Alpen immer weiter zurückziehen, noch ein anderes Gefühl schleichen könnte: Das der Kostbarkeit.

Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann

Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 15.10.2021

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